Flächenfraß:Dreck im Schachterl

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Gott mit dir, du Land der Outlets! Dein höchstes Gericht hilft dir nämlich nicht. Zu beklagen ist ein unseliges bayerisches Urteil - und eine verpasste Chance, um den Landesverfassungen in Deutschland wieder mehr Geltung zu verschaffen.

Von Heribert Prantl

Jeden Tag verschwinden in Bayern 14 Fußballfelder; jedes Jahr verschwindet ein Ammersee. Das macht kaputt, was den Menschen lieb, wert und Heimat ist. In anderen Bundesländern ist das auch so, aber in Bayern ist es am schlimmsten. Bei der Outletisierung, Möbelhausisierung und Parkplatzisierung ist Bayern deutscher Spitzenreiter, gefolgt von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Deutschland wird zersiedelt. Die Ortskerne veröden, die Natur wird vermarktet. Es sind nicht konkret Fußballfelder und Seen, die verschwinden; es ist Naturfläche, es sind Wiesen und Ackerland, die Gewerbegebieten weichen müssen; in Bayern 10 Hektar täglich. Wenn das so weitergeht, kann man die Bayernhymne ändern: Gott mit dir, du Land der Outlets.

Es geht leider so weiter. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat ein Volksbegehren gegen den Flächenverbrauch als unzulässig abgelehnt. Das ist eine falsche, unverständige, unselige Entscheidung. Der Verfassungsgerichtshof ist dafür da, den Grundrechten zur Geltung zu verhelfen; er ist dafür da, Grundwerte und Staatsziele zu stärken, ihnen beizuspringen. Im Artikel 141 der Bayerischen Verfassung steht, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der staatlichen Gemeinschaft anvertraut ist - also auch dem Verfassungsgericht. In diesem Artikel steht, dass es zu den großen Aufgaben von Staat und Gemeinden gehört, den Boden als natürliche Lebensgrundlage zu schützen. Das höchste Gericht in Bayern hat sich der Aufgabe verweigert; es hat sich hinter angeblicher Unzulässigkeit des Volksbegehrens versteckt.

Es ist dies ein exemplarischer Fall von Verkrampfung. Wenn man sich fragt, warum das Grundgesetz eine so wichtige Rolle in Deutschland spielt, warum die Landesverfassungen aber kaum jemand kennt - dann findet man hier, im Urteil gegen das Volksbegehren, die Antwort: Die Landesverfassungsgerichte sind zu verzagt. Sie sind Mauerblümchen-Gerichte.

Ganz anders das Bundesverfassungsgericht: Es hat das Grundgesetz zu dem gemacht, was es ist - ein Werk mit Rechten und Garantien, auf die sich die Bürger gern berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundrechte entfaltet; sie wären blass geblieben, wenn die Richter in Karlsruhe sie nicht ausgemalt hätten. In den Bundesländern, in Bayern zumal, passiert seit Jahrzehnten das Gegenteil.

Grundrechte und Staatsziele der Landesverfassungen sind eigentlich wunderbar konkret, alltagstauglich, begreifbar und hilfreich - nicht nur dort, wo es um die Natur geht und wo sie jedem Bürger den Zugang zu den Seen erlaubt; auch dort, wo es um Wirtschaft und Steuerpolitik geht: "Steigerungen des Bodenwerts, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen" - so heißt es etwa in Artikel 161 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung. Was haben die Bürger davon? Um es auf Bairisch zu sagen: den Dreck im Schachterl - also nichts. Das zuständige Gericht hat diese Sätze nicht fruchtbar gemacht. Das ist schade, das ist bitter.

Das Grundgesetz hat eine gute Adresse: Karlsruhe! Die Landesverfassungen haben eine so gute Adresse nicht. Karlsruhe hat sich nie gescheut, in die Speichen der deutschen Politik einzugreifen. Den Landesverfassungsgerichten wünschte man eine solche Kraft, in die Landespolitik einzugreifen, auch. Es ist Zeit für die Erweckung der Landesverfassungen.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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