Parlamentswahl:In Helsinki zeichnet sich ein Machtwechsel ab

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Er hat die besten Chancen, der nächste Ministerpräsident in Finnland zu werden: Petteri Orpo, der Vorsitzende der konservativen Nationalen Sammlungspartei. (Foto: Alessandro Rampazzo/AFP)

Die Popularität von Premierministerin Marin hat nicht gereicht: Bei der Wahl in Finnland erklärt sich die konservative Sammlungspartei zur Siegerin. Ein Rechtsruck deutet sich an.

Von Alex Rühle, Stockholm

Inhaltlich liegen die drei sehr weit auseinander, aber einen Satz sagten sie am Wahlabend fast wortgleich: Es ist so knapp wie nie und es wird schwierig. Sanna Marin, die amtierende Ministerpräsidentin von den Sozialdemokraten und Petteri Orpo von der konservativen Nationalen Sammlungspartei lagen bei der Parlamentswahl in Finnland stundenlang gleichauf bei rund 20 Prozent, dicht gefolgt von rechtspopulistischen "Die Finnen" unter Riika Purra.

Dann aber schob sich die Sammlungspartei nach vorne und Orpo erklärte sich kurz vor 23 Uhr Ortszeit zum Sieger. Seine Partei gewann zehn Mandate hinzu und kommt auf 48 der 200 Sitze im Parlament. Die EU-skeptischen "Finnen" gewannen sieben Sitze hinzu und landen wohl auf dem zweiten Platz. Knapp 72 Prozent der rund 4,5 Millionen Finninnen und Finnen hatten ihre Stimme abgegeben.

Konservativer Sieger ist offen für Koalition mit Populisten

Es ist eminent wichtig, wer am Ende vorne liegt, selbst wenn nur um wenige tausend Stimmen geht, weil in Finnland der Chef oder die Chefin der erfolgreichsten Partei als Erster die Chance bekommt, eine Regierung zu bilden. Ob nun Marin, Orpo oder Purra, die Siegerin oder der Sieger wird eine der beiden anderen großen Parteien und mindestens eine, wahrscheinliche eher zwei weitere Parteien ins Boot holen müssen, weshalb mit komplizierten Wahlverhandlungen gerechnet wird.

Petteri Orpo hatte sich vor der Wahl für Koalitionsverhandlungen betont offen gezeigt, er könnte eine rechtslastige Koalition mit den "Finnen" eingehen und die ebenfalls konservative Zentrumspartei dazuladen, die zwar bisher in der Fünferkoalition mit Sanna Marin mitregiert hat, aber kürzlich ankündigte, dass sie nicht weiter mit den Sozialdemokraten koalieren wolle. Sollte Marin doch noch gewinnen, müsste sie sich fast auf eine große Koalition mit Orpos Sammlung einlassen. Dann könnte es freilich schwerer werden, Koalitionspartner zu finden, die linken Parteien zeigten sich sehr zögerlich, will doch Orpo streng sparen, um die Schulden in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig verspricht er Steuererleichterungen.

Sollten "Die Finnen" das Rennen machen, würden sie wahrscheinlich eine Koalition mit der Sammlung und dem Zentrum anstreben und würden so für eine Wiederauflage der Koalition von 2015 sorgen, allerdings jetzt unter Führung von Riika Purra. Sie warnt vor weiterer Zuwanderung, will Klimaschutzmaßnahmen soweit wie möglich zurückfahren und Schwedisch als zweite offizielle Sprache abschaffen. Die Grünen, die Linke und zwei weitere Kleinparteien hatten eine Koalition mit den "Finnen" ausgeschlossen. Jussi Halla-aho, der langjährige Vorsitzende der "Finnen", zeigte sich aber am Wahlabend zuversichtlich, dass einige der kleineren Parteien doch gesprächsbereit sein werden, sollten die Populisten tatsächlich vorne liegen.

Während die drei großen Parteien jeweils um mehrere Prozentpunkte zulegten, mussten mehrere kleinere Parteien stark Federn lassen. Das Zentrum und die Grünen, die ebenfalls der Regierung von Sanna Marin angehörten, verloren jeweils etwa drei Prozentpunkte beziehungsweise fünf bis acht Sitze im Parlament, das 200 Sitze umfasst.

Der Wahlkampf war bestimmt von wirtschaftspolitischen Fragen: Finnland ächzt unter einer hohen Schuldenlast, dazu kommen eine galoppierende Inflation und Rezessionssorgen. Laut jüngsten Zahlen aus dem Finanzministerium müssen in den kommenden Jahren neun Milliarden Euro gespart werden. Das Gesundheitssystem ist in schlechter Verfassung, im Bildungswesen wurde über zehn Jahre lang gespart.

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Das gute Abschneiden der bislang regierenden Sozialdemokraten, die drei Mandate hinzu gewannen, war eindeutig Sanna Marins Verdienst: Die 37-jährige Ministerpräsidentin ist die mit Abstand populärste Parteivorsitzende und hat Finnland gut durch die Corona-Krise gebracht. Als Russland die Ukraine überfiel und die Finnen, die bis dahin immer die Bündnisneutralität bevorzugt hatten, plötzlich mehrheitlich für eine Nato-Mitgliedschaft waren, vollzog Marin einen historischen Kurswechsel und steuerte den anschließenden Beitrittsprozess in enger Zusammenarbeit mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö so souverän wie geräuschlos ins Ziel.

Die Nato-Mitgliedschaft war aber im Wahlkampf kaum Thema, denn 80 Prozent der Finnen sind für den Beitritt. Am vergangenen Freitag hat die Türkei als letztes Mitgliedsland dem Gesuch zugestimmt, Finnland wird in den kommenden Tagen als 31. Nato-Partner aufgenommen werden. Offen ist in diesen Stunden nur noch, wer beim nächsten Nato-Gipfel im Juli in Vilnius Finnland vertreten wird.

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Von Alex Rühle

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