Finanzskandal:Neue Razzia im Fall Wirecard

Lesezeit: 2 min

Ermittler durchsuchen Räume des früheren Aufsichtsratschefs. Abgeordnete machen der gesamten Regierung schwere Vorwürfe - und fordern eine öffentliche Entschuldigung.

Von Jan Diesteldorf und Cerstin Gammelin, Berlin

Während das Parlament seine Aufarbeitung des wohl größten Börsenskandals des Landes beendet, gehen die Behörden weiter gegen mutmaßlich Verantwortliche vor: Am Dienstag durchsuchte die Staatsanwaltschaft München I die Privat- und Büroräume des langjährigen Wirecard-Aufsichtsratschefs Wulf Matthias.

Nach SZ-Recherchen verdächtigen die Ermittler den 76-Jährigen der Beihilfe zur Untreue im Zusammenhang mit Geldabflüssen bei Wirecard. Dabei geht es um Kredite der Wirecard AG und der konzerneigenen Bank an dubiose Partnerfirmen. Der insolvente Zahlungsdienstleister hatte diesen Firmen über Jahre hinweg Kredite in teils dreistelliger Millionenhöhe gewährt. So sollen erhebliche Beträge in dunkle Kanäle abgeflossen und zugleich verwendet worden sein, um Wirecards Umsatz künstlich aufzublähen. Der Aufsichtsrat hatte diese Darlehen regelmäßig genehmigt. Ende Juni 2020 hatte das digitale Vorzeigeunternehmen Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro einräumen müssen; der materielle Schaden beläuft sich auf 24 Milliarden Euro vernichteten Börsenwert und weitere drei Milliarden Euro Schulden. Hinzu kommt der politische Schaden, der sich in der Blamage für den Finanzplatz Deutschland und dem Verlust von politischer Glaubwürdigkeit bemisst.

Im Parlament rief am Tag der Razzia und zum Ende des Untersuchungsausschusses der langjährige CSU-Abgeordnete Hans Michelbach die Regierung zu einer öffentlichen Entschuldigung auf. "Man muss als Bundesregierung die Kraft haben, vor die Bürger zu treten und das Bedauern auszusprechen", sagte der Vize-Chef des Ausschusses. Eine Entschuldigung sei das Mindeste, das die geprellten Anleger erwarten könnten. Von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe sich "die gesamte Regierung nicht mit Ruhm bekleckert".

Der U-Ausschuss war im September auf Druck von Grünen, Linken und FDP eingerichtet worden. Seine Arbeit gilt als besonders erfolgreich: Es gab sechs Rücktritte an der Spitze von Behörden und Prüfunternehmen, die Finanzaufsicht wird umgebaut, Gesetze wurden erneuert.

Die Opposition bezeichnete es als "großes Ärgernis", dass die Bundesregierung sich vor der Verantwortung wegducke. "Der Betrug eines Dax-Konzerns ist ein Intensivfall für den Finanzminister", kritisierte Florian Toncar (FDP). Die Scholz unterstellte Finanzaufsicht Bafin habe versagt. Die Grüne Lisa Paus sprach Scholz die Eignung als Kanzler wegen menschlicher Defizite ab. "In dieser Zeit braucht Deutschland Führungspersonal, das Fehler eingestehen kann." Die SPD widersprach energisch, sie verortet die Verantwortung bei Wirtschaftsprüfern und Minister Peter Altmaier (CDU).

Union und SPD würden Wirecard nur als Bilanzskandal einstufen, kritisierte die Grüne Paus. Tatsächlich sei es ein Skandal der Wirtschaftsprüfer, ein Geldwäsche-, Lobbyismus- und Geheimdienstskandal. "Der Skandal Wirecard ist ein Deutschland-Skandal." Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi sagte, auch die Union, die "heftig im Kanzleramt lobbyiert hat", sei in der Verantwortung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) könne "kein Freibrief ausgestellt werden".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: