Fernsehen:Am Ohr der Zeit

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Fiktional, aber doch realistisch - ein Sammelband untersucht die Wirkung von Politserien. Die Autoren wollen wissen, was sich darin über die jeweilige Gesellschaft lernen lässt. Und welchen Einfluss sie aufs Publikum haben.

Von Isabell Trommer

The West Wing" ist die Königin der politischen Fernsehserien. 154 Folgen lang kann man den Beraterstab des fiktiven US-Präsidenten Josiah Bartlet durch den Westflügel des Weißen Hauses begleiten. "Can you walk with me a second?" heißt es, dann laufen zwei Figuren schnell sprechend durch die Flure. Einer biegt ab, ein anderer biegt ein und bringt ein neues Anliegen mit, so geht es in einem fort: Walk and talk. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden nicht nur durch die Flure, sondern durch das politische System der USA geführt. Wie entstehen Gesetze? Und was ist ein Filibuster?

Ein "pädagogisches Werkzeug" nannte der New Yorker Aaron Sorkins Serie. Ihre Ausstrahlung begann 1999 gegen Ende der Clinton-Ära und endete 2006 während der zweiten Amtszeit von George W. Bush. Oft fühlt sie sich so behaglich an wie eine Familienserie: Es gibt den sturen und melancholischen Kommunikationsdirektor Toby Ziegler, der in schwierigen Situationen so lange einen Baseball gegen seine Bürowand wirft, bis er weiß, was zu tun ist; den smarten, jugendlichen Josh Lyman, stellvertretender Chief of Staff, der Kongressabgeordnete bearbeitet und Bündnisse schmiedet; und seinen souveränen Chef Leo McGarry, ein trockener Alkoholiker, der schon alles gesehen hat. Und die coole und schlagfertige Pressesprecherin C. J. Cregg dazu. Sie sind klug, witzig, für die gute Sache unterwegs - und tragen Schulterpolster.

Nicht erst seit den Neunzigerjahren entstanden besonders in Großbritannien und den Vereinigten Staaten vermehrt politische Fernsehserien. Außer, wenn man so will, ernsthaften Serien gibt es eine ganze Reihe von Satiren. Beide Subgenres arbeiten sich an der Realität ab, sind lehrreich und unterhalten. Dabei muss es nicht immer die nationale Bühne sein: In der Comedy-Serie "Parks and Recreation" wird Politik von einer Provinzbehörde aus gedacht. Amy Poehler spielt die stellvertretende Leiterin des Grünflächenamtes einer fiktiven Stadt in Indiana. Kommunalpolitik kann sehr amüsant sein.

Der an der Universität Duisburg-Essen lehrende Niko Switek hat nun einen Band herausgegeben, in dem Politikwissenschaftler politische Fernsehserien untersuchen ( SZ vom 21. Juli). Außer Beiträgen, die sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Zugängen zu Serien befassen, versammelt "Politik in Fernsehserien" eine ganze Reihe von Fallstudien. Dabei geht es etwa um die britische Sitcom "Yes, Prime Minister", die amerikanische Serie "Veep" oder das französische Drama "Marseille". Auch "House of Cards" und "Im Namen des Volkes", eine seit März 2017 ausgestrahlte "chinesische Gegenerzählung", werden untersucht. Der sehr lesenswerte Beitrag dazu zeigt, wie die von der Obersten Volksstaatsanwaltschaft der Volksrepublik China autorisierte Serie eine "offizielle Leseanleitung der Antikorruptionskampagne" lieferte.

Niko Switek (Hg.): Politik in Fernsehserien. Analysen und Fallstudien zu House of Cards, Borgen & Co. Transcript-Verlag Bielefeld 2018. 402 Seiten, 39,99 Euro. Als Download kostenfrei. (Foto: transcript verlag)

Auf die eine oder andere Art politisch sind viele Serien, hier werden hauptsächlich solche diskutiert, die mitten im politischen Betrieb, im Zentrum der Macht spielen. Polit-Serien seien, schreiben Andreas Dörner und Stefan Heinrich Simond, fiktionale Erzählungen über politische Wirklichkeiten. Es handle sich um Unterhaltungsformate, die verkürzen, verdichten, zuspitzen und beschleunigen. Während "The West Wing" durch ein idealistisches Politikbild geprägt sei, stehe bei "House of Cards" machtpolitisches Handeln im Mittelpunkt. Daneben gebe es eher realpolitische Darstellungen wie in der Serie "Borgen" über die fiktive dänische Premierministerin Brigitte Nyborg. Politische Serien seien zwar kein "Abbild der Realität, sondern Fiktionen, doch sind sie zugleich realistisch", resümiert Arne Sönnichsen.

Im Kern geht es in den Aufsätzen um die Frage, was für ein Politikbild in den Serien vermittelt wird. Laut Henrik Schillinger ist in der Rezeption meist die Frage bedeutsam, ob eine Serie Wissen über "reale Politik" transportiere. Viele politische Serien hätten gemein, so der Herausgeber, dass Macht und Einfluss stark an einzelne Personen geknüpft seien. Häufig spielen die Mitarbeiter und Berater eine große Rolle, die Zuschauer blicken also auch auf die Hinterbühne. Das macht den Charme von "The West Wing" aus, gilt aber für die Mehrheit der in dem Band besprochenen Serien: Politik wird als komplexer, von Machtinteressen und realpolitischen Zwängen geprägter Aushandlungsprozess dargestellt - wenn nicht gerade das ganze System aufs Korn genommen wird oder es nur noch um Schadensbegrenzung geht.

Im Hintergrund der Überlegungen der Autorinnen und Autoren steht die Annahme, dass sich durch Serien etwas über die jeweilige Gesellschaft, ihre Normen und ihre politische Kultur lernen lässt. In der Tat: Wer das amerikanische Gemeinwesen und seine Dysfunktionalität verstehen will, wird wenig so erhellend finden wie "The Wire", die Serie über die Stadt Baltimore.

Nun könnten, so der Tenor des Buches, Serien einerseits lehrreich sein und politisches Bewusstsein fördern, andererseits lauere die Gefahr, dass sich verzerrte oder zu zynische Bilder des politischen Betriebs etablierten. Bereits Mitte der Siebzigerjahre hat der amerikanische Politikwissenschaftler Michael J. Robinson das Konzept der "Videomalaise" eingeführt. Hinter dem schönen Wort steht die Behauptung, die negative Darstellung von Politik im Fernsehen habe einen schlechten Einfluss auf das Vertrauen in die Demokratie. Lässt "House of Cards" seine Zuschauer zynisch werden? Verändern "Homeland" und "24" die Einstellung zu Folter? Einige Autorinnen und Autoren dieses Bandes halten einen Einfluss auf die Zuschauer für ausgemacht, zeigen aber auch, dass entsprechende Studien selten verallgemeinerbare Schlussfolgerungen zulassen, zudem sei unklar, wie nachhaltig solche Effekte sind. Da liegen die Dinge wohl komplizierter. Die Urteilskraft der Zuschauer, so möchte man hinzufügen, sollte nicht unterschätzt werden.

Der Sammelband bietet einen breiten Einblick in politikwissenschaftliche Interpretationen von Popkultur. Er stellt eine ganze Reihe anregender Überlegungen im Hinblick auf Erzählweisen und politische Systeme an. Dabei gibt es fade und spröde Passagen, und manche Beiträge sind im Duktus arg politologisch geraten.

Wie Serien wahrgenommen werden, hat auch damit zu tun, was sich gerade auf der realen politischen Bühne abspielt. Da kann es zumindest für einen Moment tröstlich sein, "The West Wing" zu gucken, nachdem man die Nachrichten des Tages gelesen hat.

Isabell Trommer ist Politikwissenschaftlerin. Zuletzt erschien von ihr: "Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik".

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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