Familiennachzug:"Der Justiz droht der Kollaps"

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Die Opposition fordert: Anerkannten Flüchtlingen soll der Familiennachzug erlaubt werden. Darauf warten Tausende.

Von Jan Bielicki, München

Mehr als 70 000 Syrern, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, bleibt es inzwischen verwehrt, ihre nächsten Angehörigen in absehbarer Zeit nachzuholen. Angesichts dieser Zahlen wächst sogar in der Bundesregierung die Kritik an der Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das inzwischen der Mehrzahl der Asylsuchenden aus dem Bürgerkriegsland nur einen sogenannten subsidiären Schutzstatus zugesteht - und sie damit mindestens zwei Jahre warten lässt, bis sie den Nachzug von Ehepartner oder Kindern beantragen dürfen. "Wenn absehbar gewesen wäre, dass die übergroße Mehrheit der Syrer in den Entscheidungen des Bamf nur noch subsidiären Schutz zugebilligt bekommt, wäre die Entscheidung über eine Aussetzung des Familiennachzugs für Syrer sicherlich anders ausgefallen", sagte die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, der Süddeutschen Zeitung . Nun würden viele Verfahren "unnötigerweise" den Gerichten aufgebürdet, distanzierte sich Özoğuz, die auch stellvertretende SPD-Vorsitzende ist, von der von der großen Koalition Anfang des Jahres getroffenen Entscheidung, den Familiennachzug einzuschränken.

Die Migrationsbeauftragte der Regierung distanziert sich von der Entscheidung der Koalition

Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, die der SZ vorliegt, haben im September fast drei Viertel aller Syrer, über deren Asylantrag das Bamf entschied, nur subsidiären Schutzstatus zuerkannt bekommen. Im März hatten noch 85 Prozent der syrischen Antragsteller vollen Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten.

Die Opposition drängt daher die Bundesregierung, allen anerkannten Flüchtlingen den sofortigen Nachzug von Ehepartnern und Kindern wieder zu erlauben. Die Grünen haben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, über den der Bundestag am Donnerstag debattiert, die Linken haben beantragt, die Einschränkung des Familiennachzugs aufzuheben. Die grüne Parlamentarierin Franziska Brantner nennt es "zynisch", den jungen Opfern eines Krieges, "in dem ganz gezielt auf Schulen und Krankenhäuser und damit auf Kinder geschossen wird", den Nachzug zu ihren geflüchteten Eltern zu verweigern. Die Linke Jelpke spricht von einer "Schande".

Aus der Antwort auf ihre Anfrage geht hervor, dass bis September fast 23 000 Syrer mit subsidiärem Schutz gegen ihre Einstufung geklagt haben. In gut 90 Prozent der bisher entschiedenen Fälle gaben die Gerichte den Klagenden recht. "Der Schaden ist enorm", kritisiert Jelpke, "der Justiz droht der Kollaps." Auch fast 800 minderjährigen Flüchtlingen wurde in den ersten acht Monaten dieses Jahres das Recht versagt, ihre Eltern nachziehen zu lassen. Zwar ist für Minderjährige eine Härtefall-Regelung vorgesehen, in Anspruch genommen wurde sie laut Bundesregierung jedoch kein einziges Mal.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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