Familie:Ministerin für Penetranz

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Franziska Giffey geht auf eine Art Bildungsreise und verteilt Plüschadler. Ihr "Gute-Kita-Gesetz" dümpelt währenddessen vor sich hin.

Von Henrike Roßbach, Maintal/Neu-Isenburg

Die Ministerin schraubt selbst. Vier Mal surrt der Akkuschrauber, dann hängt die neue Plakette am Eingang zum Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße im hessischen Maintal. "1. Platz - Kita des Jahres 2018". "So. Ich glaube, jetzt ist es gut", sagt Franziska Giffey und sieht sehr zufrieden aus: "Schon was Produktives gemacht heute."

Zu einer Art Bildungsreise ist die Bundesfamilienministerin diese Woche aufgebrochen. "Es ist immer gut, wenn Politik sich mal raus bewegt", sagt die SPD-Politikerin in Maintal, kurz nachdem sie durch das Spalier trommelnder Kita-Kinder gegangen ist, einen Spielteppich ausgerollt und körbeweise Plüschadler verteilt hat. Freddie, das neue Maskottchen des Ministeriums. So hat sie das schon als Neuköllner Bürgermeisterin gemacht. Rausgehen, Händeschütteln, zuhören, nachfragen, Reden halten. "Mein Ansatz ist: Gute Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit", sagt sie.

Giffey hat viele solche Leitsätze. Frauen können alles. Hingehen, zuhören, handeln Und: Nichts, was man für Kinder tut, ist je verschwendet. Mit letzterem allerdings gehen zumindest in Berlin offenbar nicht alle konform, auf deren Wohlwollen Giffey derzeit angewiesen ist. Ihr "Gute-Kita-Gesetz" dümpelt in der Ressortabstimmung vor sich hin. 5,5 Milliarden Euro will der Bund den Ländern bis 2022 zur Verfügung stellen. Für mehr Erzieherinnen, längere Öffnungszeiten, niedrigere Gebühren für die Eltern, mehr pädagogische Qualität. Dass da überhaupt jemand etwas dagegen haben könnte, verursacht bei Giffey erkennbar eine Mischung aus Ungeduld und Ratlosigkeit. Im September, sagt sie mehrmals auf ihrer Reise, werde das Gesetz ins Kabinett kommen: "Penetranz schafft Akzeptanz." Auch so ein Grundsatz von ihr.

In Maintal jedenfalls, in der prämierten Kita samt Familienzentrum, wo es ein Elterncafé und kostenlose Deutschkurse gibt, wo eine Psychologin Eltern berät, wo die Wald-, Forscher- oder Künstlergruppe ordnerweise Projekte vorzuweisen haben, ist die Welt der frühkindlichen Bildung so, wie Giffey es gerne überall hätte. "Kitas sind Bildungseinrichtungen", sagt sie, und dass die frühkindliche Bildung natürlich eine nationale Aufgabe sei, es gehe um den sozialen Frieden und darum, dass Kinder ihren Weg machen können. Oder, noch so ein Lieblingssatz: "Ich will, dass jedes Kind es packt." Die geplanten 5,5 Milliarden Euro vom Bund sind aus ihrer Sicht deshalb nicht nur geboten, sondern zwingend.

Eines allerdings kann auch ihr Gute-Kita-Gesetz nicht: im Handstreich für höhere Gehälter in den Kindergärten und Krippen zu sorgen. In Maintal konfrontiert sie ein Erzieher mit ihrem eigenen Zitat, 500 Euro mehr für Erzieher seien angebracht. "Das kann ich nicht alleine machen", gibt die Ministerin zu. "Die Bezahlung ist ein Thema, das im Gute-Kita-Gesetz nicht geregelt werden kann". Der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst sei vielversprechend gewesen für Erzieher, aber das Thema müsse jetzt angegangen werden mit den Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Ländern. Auch das Schulgeld, das angehende Erzieher teilweise noch zahlen müssten, gehöre abgeschafft, eine Ausbildungsvergütung eingeführt.

Tags zuvor, eine andere Kita, eine andere Stadt. Im Neu-Isenburger Familienzentrum Kurt-Schumacher-Straße sitzt Giffey auf einem Kinderstühlchen und bastelt einen Schmetterling. Auch hier gibt es ein Elterncafé; das Familienzentrum ist ein Standort des Netzwerkes Elternbegleitung. Fast alle Kinder hier haben einen Migrationshintergrund. "Wie lange sind die Kinder denn tagsüber hier?", fragt Giffey. Die meisten, sagt die Kita-Leiterin, würden um 14 Uhr abgeholt. Lieber wäre es ihr, wenn sie länger blieben, für eine bessere Förderung. Viele Eltern aber seien Transferempfänger und könnten sich das nicht leisten; in Hessen endet die Gebührenfreiheit bei sechs Stunden Betreuung am Tag. Giffey hört sehr genau hin. Und man ahnt, dass sie das in Berlin vortragen wird. Wenn der nächste mäkelt an ihrem Ziel der Gebührenfreiheit.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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