Fahrradwege:Das Pop-up-Problem

Lesezeit: 2 min

Schnell da, schnell wieder weg? Ein Gericht kippt temporäre Radwege in der Hauptstadt. Der Berliner Senat kündigt an, gegen den Beschluss in die nächste Instanz zu ziehen.

Von Markus Balser, Berlin

Platz für Frischluftverkehrsteilnehmer in Zeiten von Corona: temporärer Fahrradweg in der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg. (Foto: imago images/Stefan Zeitz)

Sie galten zu Corona-Zeiten in Berlin als das Verkehrsprojekt schlechthin: Auf besonders stark befahrenen Straßen hatte der Berliner Senat Spuren für den Autoverkehr gesperrt und daraus Radwege gemacht. Diese sogenannten Pop-up-Radwege ziehen sich zum Ärger mancher Autofahrer inzwischen auf über 20 Kilometern durch die Stadt. Nun hat ein Gericht mehrere Projekte gekippt. Obwohl der Radverkehr in der Hauptstadt während der Pandemie stark zugenommen hat, sollen sie wieder entfernt werden. Und zwar schnell.

Der Berliner Vorstoß zum raschen Ausbau des Radwegenetzes hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt und Nachahmer in mehreren Städten gefunden. Der AfD-Abgeordnete und Verkehrspolitiker Frank Scholtysek hatte im Juni jedoch gegen die Einrichtung von acht neuen, kurzfristig angelegten Fahrradwegen in Kreuzberg, Friedrichshain, Schöneberg und Charlottenburg geklagt. Nun bekam er recht.

Der Radverband ADFC geht davon aus, dass der Senat die Wege trotz des Urteils erhalten kann

Das Gericht stieß sich vor allem an der aus seiner Sicht nicht ausreichenden Begründung des Senats. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Radwege, teilte das Verwaltungsgericht am Montag mit. Radwege dürften nur dort angeordnet werden, wo es konkrete Hinweise auf Gefahren im Verkehr gebe und die Anordnung zwingend notwendig sei, erklärte das Gericht. Eine solche Gefahrenlage habe die Senatsverwaltung aber nicht dargelegt. Sie sei "fälschlich" davon ausgegangen, sie müsse sie nicht begründen. Auch könne der Senat nicht einfach die Corona-Pandemie zum Anlass für solche Anordnungen nehmen, da sie nichts mit der Verkehrslage zu tun habe, so die Richter. Die weitere Begründung des Senats bleibe zudem "ohne konkrete Belege und gehe über allgemeine (...) Situationsbeschreibungen nicht hinaus".

Die Eilentscheidung ist zwar noch nicht rechtskräftig, hat aber schon jetzt Folgen. Der Senat müsse die entsprechenden Schilder wieder entfernen, teilte das Gericht am Montag mit. Der Senat kündigte am Montag an, den Beschluss beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anzufechten. Dies hat aber keine aufschiebende Wirkung. Die zuständige grüne Verkehrssenatorin Regine Günther will Beschwerde gegen die Entscheidung einreichen. Scholtysek nannte sie einen "Sieg der individuellen Mobilität gegen den Autohass".

Verbände gehen hingegen davon aus, dass der Senat eine Begründung nachliefern und die Radwege so doch noch erhalten kann. Ihr Verband sehe das Urteil gelassen, sagte eine Sprecherin des Radverbands ADFC. Das Gericht störe sich an der coronabezogenen Begründung. Bei einer mehrspurigen Straße ließen sich die Radspuren aber immer auch mit der Verkehrssicherheit begründen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags halte solche Radwege ebenfalls für möglich und rechtens.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: