EZB:Ausweg, verzweifelt gesucht

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„Das Eurosystem hört zu“: Mit diesem Slogan wollte die EZB im Frühjahr eine Transparenzinitiative starten. Corona kam dazwischen. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Notenbank befindet sich in der Zwickmühle: An Urteile deutscher Verfassungsrichter sieht sie sich eigentlich nicht gebunden. Einen Konflikt aber will sie doch vermeiden.

Von Cerstin Gammelin und Markus Zydra

Im Bundestag ist man verärgert, zumindest bei den Regierungsfraktionen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen habe den Eindruck entstehen lassen, als ob sie sich bisher nie mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) beschäftigt hätten, so ist zu hören. Dabei sei das ganz anders: "Spätestens seit der Finanzkrise gab und gibt es einen informellen Austausch zwischen dem Bundestag und den Entscheidungsträgern bei den Notenbanken. Auch dadurch hat es permanent eine Erläuterung und Bewertung der Maßnahmen der EZB gegeben", sagt Carsten Schneider, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, der Süddeutschen Zeitung.

Tatsächlich wurde der frühere EZB-Präsident Mario Draghi mehrmals vom Europa-, Finanz- und Haushaltsausschuss befragt. Darin sitzen Abgeordnete aus allen Fraktionen. Auch im Kanzleramt war Draghi regelmäßig zu Gast. Zudem hat es regelmäßige, meist informelle Gespräche mit EZB-Direktoren gegeben. Das waren einst Jörg Asmussen oder Benoît Cœuré; jetzt ist es Isabel Schnabel. Soll sagen: Die EZB habe ihr Vorgehen durchaus erläutert - was eine zentrale Forderung der Karlsruher Richter ist.

In Berlin hofft man, dass die Bundesbank helfen kann

Und trotzdem muss der Bundestag sich jetzt mit dem Urteil beschäftigen. Die Zeit drängt. Nur noch drei Sitzungswochen bis zur Sommerpause. In denen müssen sich die Fraktionen darauf einigen, wie sie der Aufforderung aus Karlsruhe nachkommen, transparent zu machen, auf welche Weise die Verhältnismäßigkeit der Anleihenkaufprogramme geprüft wird. "Wir werden uns, vielleicht in einer etwas formelleren Art und Weise, nochmals mit den Entscheidungen der EZB befassen, dabei aber die Unabhängigkeit von Bundesbank und EZB beachten", sagt Schneider. "Unser Hauptansprechpartner ist dabei die Bundesbank." Auch Eckhardt Rehberg, Haushaltsexperte der Union, bekräftigte am Donnerstag im Bundestag die Bereitschaft, sich noch stärker mit den Entscheidungen der EZB zu beschäftigen.

Die Bundesbank in Frankfurt hält sich bislang aus dem Streit über das Urteil raus. Sie ist in einer etwas verzwickten Lage. Sie gehört dem Euro-System an, das von der EZB geleitet wird. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sitzt im EZB-Rat. Zugleich aber unterliegt die Bundesbank deutscher Rechtsprechung. Im Bundestag wird nun geprüft, inwieweit Weidmann helfen kann, die Auflagen aus Karlsruhe zu erfüllen - ohne die politische Unabhängigkeit der Notenbank infrage zu stellen.

Richtig Kopfzerbrechen bereitet manchen Abgeordneten das Kleingedruckte im Urteil. Karlsruhe schreibt vor, dass die EZB bei den Anleihenkaufprogrammen stets die Kapitalschlüssel erfüllen muss. Die orientieren sich an Wirtschaftskraft und Bevölkerungsgröße der jeweiligen Euro-Länder. Danach muss die EZB also mehr deutsche Staatsanleihen aufkaufen als etwa italienische oder spanische. Das soll grundsätzlich so bleiben. Genau das aber tut die EZB in ihrem Pandemieprogramm nicht. "Da liegt die wahre Musik des Urteils drin", sagt Schneider.

Bei der EZB selbst ist man, zurückhaltend formuliert, unglücklich über das Urteil. Im Eurotower müsse man etwas ausbaden, womit man nach eigenem Verständnis nichts zu tun hat. Die Notenbank als europäische Institution fühlt sich nur den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet. Der aber hat die Geldpolitik gebilligt. Formal habe das Bundesverfassungsgericht den Notenbankern gar nichts zu sagen, so die EZB-Oberen. Doch ignorieren können sie das Urteil auch nicht, wollen sie einen Konflikt mit der wichtigen deutschen Institution vermeiden.

Die EZB-Präsidentin hatte bei ihrem Amtsantritt mehr Transparenz versprochen

Wie kann die supranationale Institution EZB dem deutschen Urteil folgen, ohne als duckender Delinquent dazustehen? In Frankfurt glaubt man, einen gesichtswahrenden Weg ausgemacht zu haben. Und der Zufall will es, dass die EZB ihn selbst Anfang des Jahres eröffnet hat. Denn EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte zu ihrem Amtsantritt versprochen, die Geldpolitik besser zu erklären. Sie nahm damit die Kritik an den Währungshütern auf, deren lockere Geldpolitik durch Anleihekäufe und Nullzinspolitik die Vermögensverteilung beeinflusst und Vermögende noch reicher macht. Der massive Einfluss steht nach Meinung der Kritiker im Widerspruch zur überschaubaren demokratischen Legitimität der EZB: Deren Direktoren werden nicht direkt gewählt und sind in ihrer achtjährigen Mandatszeit nicht abrufbar. Lagarde wollte sich daher direkt an die Menschen in der Euro-Zone wenden und die EZB-Strategie diskutieren. Ihr Motto: "Der Euro gehört Ihnen, teilen Sie uns Ihre Ideen und Sorgen mit."

Aufgrund der Corona-Krise hat die Notenbank die geplante Veranstaltungsreihe "Das Eurosystem hört zu" auf den Herbst verschoben. Auf diese Transparenzinitiative aber könnte die EZB verweisen, wenn sie ein Dossier veröffentlicht, in dem sie ihre Entscheidungen zur Geldpolitik darlegt. Damit hätte die EZB die Forderung des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Sie könnte gleichzeitig sagen, dass man mehr Transparenz herzustellen selbst schon geplant hatte - und zwar vor dem Urteil. Die Juristin Lagarde hätte die Unabhängigkeit der EZB gewahrt. Und den Konflikt gelöst. Bei der EZB ist man der Überzeugung, man habe ohnehin seit 2015 sehr wohl dargelegt, wie der EZB-Rat zu seinen Entscheidungen gekommen ist.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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