Europa:Heftiger Streit zwischen Paris und Berlin

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Finanzminister Le Maire warnt vor "einem Vertrauensbruch zwischen Frankreich und Deutschland" und wirft der Bundesregierung vor, europapolitische Reformen wie die Digitalsteuer zu hintertreiben.

Von Cerstin Gammelin, Leo Klimm und Alexander Mühlauer, Berlin/Paris/Brüssel

Frankreich wirft der Bundesregierung vor, europapolitische Reformen zu durchkreuzen. Finanzminister Bruno Le Maire warnte vor "einem Vertrauensbruch zwischen Frankreich und Deutschland", sollte Berlin "nicht seine Zusagen einhalten". Er bezog sich auf die deutsch-französische Vereinbarung, bis Ende des Jahres eine Einigung über die Besteuerung von Digitalkonzernen zu erzielen. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte eine Verständigung. "Wir brauchen eine Digitalsteuer als vertrauensbildende Maßnahme für Europa", sagte er auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel. "Tun wir das nicht, wird der Populismus weiter bunte Blüten treiben."

Zwischen Paris und Berlin herrscht eine tiefe Verstimmung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will mit einer EU-Digitalsteuer das Versprechen einlösen, wonach Europa seine Bürger schützt und für Gerechtigkeit sorgt. Er möchte mit diesem Thema in den Europawahlkampf im kommenden Frühjahr ziehen. Angesichts der bevorstehenden Ablösung von Bundeskanzlerin Angela Merkel als CDU-Vorsitzende wächst in Paris allerdings die Sorge, dass Berlin dieses und weitere Vorhaben hinauszögern oder gar blockieren könnte.

Neben der Digitalsteuer geht es auch um geplante Beschlüsse zur Vertiefung der Euro-Zone, die beim EU-Gipfel im Dezember gefasst werden sollen. Konkret stehen eine Letztabsicherung für den Bankenabwicklungsfonds der Währungsunion und der Ausbau des Europäischen Rettungsfonds ESM zu einer Art Europäischen Währungsfonds auf der Agenda. Ein hochrangiger EU-Diplomat bezeichnete die deutsche "Hinhalte-Taktik" als "größeres politisches Problem für die Euro-Zone als Italiens Schuldenpläne".

Le Maire hatte zuletzt versucht, den Widerstand der Bundesregierung gegenüber einer EU-Digitalsteuer zu brechen. In Berlin sind die Bedenken groß, dass eine solche Abgabe die exportstarke deutsche Industrie treffen könnte. Auch möglichen Vergeltungsmaßnahmen der USA sieht man in Berlin mit sehr viel größerer Sorge entgegen als in Paris. Juncker räumte zwar ein, dass US-Präsident Donald Trump die Steuer "natürlich nicht gut" fände. Ohne Deutschland direkt zu kritisieren, forderte der Kommissionspräsident die EU aber zum Handeln auf: "Wir sollten nicht abwarten, sondern vorangehen." Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dringt hingegen auf eine Lösung auf Ebene der OECD-Staaten, zu denen auch die USA gehören. Sollte eine internationale Einigung bis Ende 2020 nicht möglich sein, sei er bereit, in der EU tätig zu werden.

Grundlage der Steuer ist ein Vorschlag der EU-Kommission. Demnach sollen Digitalunternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro sowie einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro in Europa eine Steuer von drei Prozent zahlen. Dies würde vor allem US-Digitalkonzerne wie Google, Apple und Facebook treffen. In Steuerfragen müssen die EU-Staaten einstimmig entscheiden. Die Niederlande, Irland und Dänemark haben sich bereits gegen einen europäischen Alleingang ausgesprochen.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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