Europa:EU-Parlament verlangt Strafverfahren gegen Ungarn

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Die Abgeordneten sehen die Demokratie in dem Land systematisch bedroht. Budapest nennt den Beschluss "kleinlich".

Von Alexander Mühlauer, Straßburg

Wegen der Gefährdung europäischer Grundwerte hat das EU-Parlament ein Strafverfahren gegen Ungarn gefordert. Dieses kann im äußersten Fall bis zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen. Ob es tatsächlich zu Sanktionen kommt, müssen nun die Mitgliedsstaaten entscheiden. Die ungarische Regierung warf dem Europaparlament einen "Racheakt" wegen ihres harten Kurses in der Flüchtlingspolitik vor. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ging in seiner Rede zur Lage der Union zwar nicht namentlich auf Ungarn ein, warnte aber vor einem "bornierten Nationalismus", der "heimtückisches Gift" für die Gemeinschaft sei. Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags müssten dort, wo der Rechtsstaat in Gefahr sei, Anwendung finden.

Grundlage des Straßburger Votums war ein Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini. Darin werden der ungarischen Regierung zahlreiche Verstöße gegen europäische Grundwerte vorgeworfen. Ministerpräsident Viktor Orbán würde Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Einschränkung der Pressefreiheit und der Rechte von Minderheiten sowie ein Vorgehen gegen Nichtregierungsorganisationen in seinem Land forcieren. 488 Parlamentarier stimmten am Mittwoch für die Einleitung des Strafverfahrens, 197 waren dagegen, 48 enthielten sich. Damit kam die notwendige Zweidrittelmehrheit zustande.

Nachdem Orbán den Bericht bereits am Dienstag in einer Rede vor dem EU-Parlament zurückgewiesen und den Abgeordneten "Erpressung" vorgeworfen hatte, erklärte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó am Mittwoch: "Die Entscheidung von heute ist nichts als ein kleinlicher Racheakt gegen Ungarn von Politikern, die für Einwanderung sind."

Die Abstimmung in Straßburg galt als Test für die Europäische Volkspartei (EVP), zu der Orbáns Fidesz-Partei gehört. Fraktionschef Manfred Weber (CSU), der das Amt des EU-Kommissionspräsidenten anstrebt, hatte am Dienstagabend angekündigt, er werde das Verfahren gegen Ungarn unterstützen. Wegen der Spaltung der Fraktion in der Frage stellte er den EVP-Abgeordneten frei, wie sie abstimmen. 115 EVP-Abgeordnete sprachen sich für ein Strafverfahren aus. 57 votierten dagegen, 28 enthielten sich.

Wann die zuständigen EU-Europaminister sich mit der Ungarn-Frage befassen, ist noch offen. Die Hürden bis zu einem möglichen Stimmrechtsentzug sind hoch. Die EU-Kommission hatte Ende vergangenen Jahres ein Strafverfahren gegen Polen eingeleitet. Orbán hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau mit seinem Veto zu blockieren. Ungarn dürfte darauf setzen, dass Polen sich genauso verhält.

Die Bundesregierung nahm die Entscheidung des EU-Parlaments zur Kenntnis, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin sagte. Konkret zu Ungarn wollte er sich aber nicht äußern. Die EU könne als Wertegemeinschaft nur funktionieren, wenn alle Regierungen ihre Werte achteten und verteidigten.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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