Europa:Draghi in Not

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Die Wirtschaft schwächelt - und die EZB hat kaum noch Mittel, um ihr zu helfen. Denn die Zinsen sind schon bei null. Jetzt kommt es auf die nationalen Regierungen an. In Deutschland sollte es keine Grundrente geben, sondern Investitionen in Bildung und Infrastruktur.

Von Nikolaus Piper

An Mario Draghi gab und gibt es viel ungerechtfertigte Kritik. Dass er die deutschen Sparer enteigne zum Beispiel. Oder dass er für Inflation sorge. Beide Behauptungen sind nachweislich falsch. Unter Draghi hat die Europäische Zentralbank mit ihrer Nullzinspolitik und dem Ankauf von Staatsanleihen den Euro gerettet und dazu beigetragen, dass Europa eine der längsten Aufschwungphasen der jüngeren Geschichte erlebte. Ein Einwand gegen Draghi allerdings hat Gewicht: Was ist eigentlich, wenn die Konjunktur schwächer wird, während die Zinsen immer noch bei null liegen und die EZB-Bilanz immer noch randvoll ist mit Anleihen von krisenanfälliger Euro-Staaten? Dann hätte die Zentralbank keine Mittel mehr, um gegenzusteuern; sie kann schließlich nicht das, was sie als Notmaßnahme in der Euro-Krise 2012 begann, ohne Ende fortsetzen.

Genau diese Situation ist jetzt eingetreten. Die Weltwirtschaft schwächt sich ab, weil China langsamer wächst, und wegen der globalen Risiken: Donald Trump, Brexit, Protektionismus. Die EZB aber hat mit der Normalisierung ihrer Geldpolitik noch kaum begonnen. Daraus wollen Draghi und der EZB-Rat jetzt Konsequenzen ziehen. Sie rechnen zwar (noch) nicht mit einer regelrechten Rezession in Europa, aber sie machen klar, dass die Lage ernst ist. Als Reaktion wurde die Normalisierung der Zinspolitik auf unbestimmte Zeit verschoben - das stärkste Signal, das der EZB noch geblieben ist. Höhere Zinsen wird es, wenn überhaupt, erst im Jahr 2020 geben; bisher rechnete man mit dem Herbst dieses Jahres. Die EZB wird außerdem den Bestand an Staatsanleihen in ihrer Bilanz bis auf Weiteres nicht verringern, und sie wird ein Sonderkreditprogramm für Europas Banken auflegen.

Gegen diese Maßnahmen lässt sich schwerlich etwas einwenden. Auch EZB-kritische Ökonomen wie der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, bezeichnen sie als angemessen. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Kehrtwende der EZB zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kommt - kurz vor einer Europawahl, bei der eine populistische Welle droht. Schlechte Nachrichten aus der EZB lassen sich leicht missbrauchen von Nationalisten und Populisten. Darauf dürfen Zentralbankräte keine Rücksicht nehmen, gewählte Regierungen aber sollten sehr aufmerksam werden.

Dass die EZB so lange an ihrer Nullzinspolitik festhalten zu müssen glaubte, hat auch damit zu tun, dass nach der Finanzkrise viele Strukturprobleme in Europa nicht gelöst wurden. Besonders jene der Banken, was in Italien offensichtlich ist, aber auch in Deutschland mit der Deutschen Bank in ihrem trostlosen Zustand.

Wichtig ist jetzt, dass sich die nationalen Regierungen konjunkturgerecht verhalten und populistischen Anfechtungen widerstehen. Was das heißt, lässt sich gut am deutschen Beispiel zeigen. Der Bundeshaushalt sollte nicht mit neuen Sozialkosten wie der Grundrente belastet werden. Auch neue Sparrunden wären falsch. Stattdessen ist jetzt der Zeitpunkt, um die Investitionslücke Deutschlands anzugehen, die sich zum Beispiel im Bildungswesen oder bei der Infrastruktur auftut - selbst wenn die Ausgaben vorübergehend die Einnahmen übersteigen sollten. Vernünftige Finanzpolitik ist umso wichtiger in einer Zeit, in der die Geldpolitik nicht mehr viel ausrichten kann.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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