Europa:Der Name der Lücke

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Braucht gute Nerven: EU-Unterhändler Michel Barnier. (Foto: AFP)

In der EU erreicht der Brexit-Ärger über London neue Höhepunkte. Aus Sicht Brüssels bewegen sich die Briten einfach nicht in ihrer grundsätzlichen Haltung.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die Liste ist ziemlich lang und sie spricht aus Sicht der britischen Unterhändler für sich. Sie handelt von etwa 40 nützlichen Feldern der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz im Rahmen der Europäischen Union. Das reicht vom europäischen Haftbefehl bis zur länderübergreifenden Anerkennung von Bußgeldern. In einem Positionspapier hat die britische Regierung aufgelistet, welche dieser Maßnahmen bislang in keinem Fall Drittstaaten von außerhalb der EU offen stehen. Es ist etwa die Hälfte. Daraus ergebe sich, warnt sie, eine "Fähigkeitslücke". Eine Lücke, die geschlossen werden müsse. Die britischen Unterhändler haben die Liste in dieser Woche zur jüngsten Verhandlungsrunde nach Brüssel mitgenommen, damit aber - nach allem, was zu hören ist - nicht das gewünschte Resultat erzielt. Die Lücke stelle man ja nicht Abrede, bekamen sie von EU-Seite zu hören. Es gebe für sie aber einen Namen: "Brexit".

Knapp zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum und etwa zehn Monate vor dem Austritt Großbritanniens herrscht in Brüssel an Sarkasmus grenzende Verärgerung über das Verhandlungsverhalten der Briten. Man gewinne den Eindruck, heißt es aus der EU-Kommission, "die Briten denken, auf EU-Seite muss sich alles ändern, damit sich auf britischer Seite nichts ändern muss". Die Konsequenzen der eigenen Entscheidung für den Austritt wolle man nicht tragen. Die Wünsche, in möglichst vielen Bereichen der Polizei- und Justizzusammenarbeit dabei zu bleiben, gelten hier als Paradebeispiel. Großbritannien verlange hier Zugang zu Instrumenten, die aus guten Gründen EU-Staaten vorbehalten seien. Das gelte etwa für den europäischen Haftbefehl. Dieser basiere auf dem Rechtssystem der EU und könne nicht einfach auf einen Staat außerhalb der Union ausgeweitet werden. Das sei kein bürokratischer Kleinkram, da gehe es um "Freiheit und Leben der Bürger".

Verärgerung herrscht in Brüssel über das, was als Grundhaltung der britischen Seite gesehen wird: das Pochen auf die eigene Souveränität bei gleichzeitig fehlendem Respekt für die Souveränität der EU. Der frühere britische EU-Botschafter Ivan Rogers macht dafür eine weit verbreitete Realitätsverweigerung in der politischen Klasse seines Landes verantwortlich. Von der EU verlange sie "pragmatisch, kreativ und flexibel zu sein", sagte er am Mittwoch in einer Rede, in der er die britische Position zerpflückte. Völlig verkannt werde dabei aber das Wesen der EU als "einzigartige supranationale Konstruktion", die nun genauso handele wie sie müsse.

Im Kern beschreibt das auch den Konflikt um ein weiteres Projekt, an dem Großbritannien nach dem Austritt aus der EU möglichst ungehindert teilhaben will: das globale Satellitennavigationssystem Galileo. "Ein Ende der engen britischen Beteiligung wäre zum Nachteil der europäischen Prosperität und Sicherheit und könnte zu Verzögerungen und zusätzlichen Kosten für das Programm führen", heißt es warnend in einem britischen Positionspapier. Die EU will Großbritannien auch gar nicht von der Beteiligung ausschließen, wohl aber als Drittstaat fernhalten von besonders sensiblen Informationen das verschlüsselte Navigationssignal betreffend. Das stehe im Einklang mit den Regeln, die das Vereinigten Königreich aus guten Gründen mit beschlossen habe, heißt es aus der EU-Kommission. Dahinter stecke kein besonders Misstrauen gegenüber Großbritannien. Schließlich vertrauten auch die EU-Staaten einander nicht blind, sondern verließen auch die Regeln in der EU und notfalls auf Gerichte.

Besonders schlecht kommen in Brüssel Berichte an, London wolle notfalls eine Milliarde Euro zurück verlangen, die es in das Galileo-Projekt investiert habe. Da gelte: "Unter Drohung verhandelt die EU nicht."

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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