Europa:Der Letzte seiner Art

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Jean-Claude Juncker hat viel geleistet für die EU. Einen entscheidenden Konflikt aber scheute der Kommissionschef.

Von Stefan Kornelius

Jean-Claude Juncker wäre vermutlich geschmeichelt, wenn man ihn als letzten Europäer bezeichnete. Natürlich ist Juncker nicht der letzte Europäer, jede Generation bringt Politiker hervor, die im Geflecht der Institutionen aufgehen und für die Idee des Staatenverbundes brennen. Wenn aber Juncker am Ende dieser Woche die Bühne verlässt, dann endet eine europäische Zeitrechnung, die nun schon mehr als eine Generation dauert und in die Kohl-Kanzlerschaft und die Phase der deutschen Vereinigung zurückreicht. Insofern ist Juncker der letzte Europäer Kohl'scher Art.

18 Jahre lang war Juncker Premierminister, davon acht Jahre auch Vorsitzender der Euro-Gruppe. Fünf Jahre lang führte er die EU-Kommission, und weil er aus Luxemburg kommt, brachte er die wichtigsten Tugenden mit, über die ein europäischer Politiker verfügen muss: Er ist kompromissfähig und vergisst nicht, wie dieses Europa und vor allem seine mächtigen Mitspieler aus der Perspektive der kleinen Staaten wirken.

Juncker kennt die bedrückende Geschichte Europas. Nationalismus ist einem Luxemburger wesensfremd, er kennt das selbstverliebte Desinteresse der großen Nachbarn Deutschland und Frankreich und bewegt sich geschmeidig dazwischen. Wer zu Hause Politik wie in der Kleinstadt betreibt, der weiß auch, wie Netzwerke in der EU funktionieren. Europa als sehr persönliches Beziehungsgeflecht - das ist Junckers Vorstellung.

Dem Mann muss man nicht sagen, dass Europa aus 28 Nationalstaaten besteht und die Kommission eine dienende Funktion hat. Gelernt hat er das in seinen Regierungsjahren im Europäischen Rat, den er viel lieber als die Kommission hätte führen wollen. So kam es aber nicht, weshalb Juncker den Verwaltungsapparat in eine "politische Kommission" oder gar in eine "Kommission der letzten Chance" umbenannte. Das klang ein bisschen dramatischer, als es am Ende war, spielt aber auf den Mangel an Vertrauen an, unter dem die Kommission litt. Juncker konnte das Problem verringern, indem er den Aktionsradius des Apparats beschnitt, der sich etwa an der Zahl der Verordnungen bemessen lässt. Spätestens seit der Griechenland-Krise war klar, dass die Entscheidungshoheit bei den Regierungschefs im Rat liegt.

Ihre letzte Chance musste die Kommission glücklicherweise noch immer nicht ergreifen, allerdings waren auch die Juncker-Jahre der Abwehr gewidmet: Der Brexit, die Rechtsstaatsverletzungen im Osten, die Migrationskrise - Europa muss permanent Fliehkräften entgegenwirken und zieht sich so den Vorwurf zu, träg zu sein. Dabei ist Beharrung in hochbeweglichen Zeiten manchmal auch schon ein Erfolg.

Kein Erfolg ist indes, dass dieses wirtschaftlich so starke Europa kein Selbstbewusstsein entwickelt hat in einer sich neu polarisierenden Welt. China und die USA, aber auch Russland haben es noch immer zu leicht mit der EU und spielen die 28 gegeneinander aus. Die künftige Kommissionspräsidentin wird das nur aufhalten können, wenn sie tut, was die anderen im Rat scheuen: Europa als selbstbewussten außenpolitischen Akteur zu präsentieren. Der Rat wird der Kommissionspräsidentin den Auftrag dazu nicht herabreichen - sie muss ihn sich schon nehmen. Juncker war dann zu sehr auf das Binnenklima bedacht, als dass er diese Konfrontation eingegangen wäre.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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