EU:Jenseits von Wildenberg

Lesezeit: 3 min

Manfred Weber, CSU-Mann aus Niederbayern, greift nach dem mächtigsten Amt, das die Europäische Union zu vergeben hat. Bei seiner Nominierung in Helsinki sagt er, was er sonst noch will: weg von einem Europa der Eliten.

Von Alexander Mühlauer, Helsinki

Glückwünsche für den Sieger: Der Finne Alexander Stubb (rechts) gratuliert Manfred Weber, der ihn gerade im Rennen um die Spitzenkandidatur der EVP geschlagen hat. (Foto: Markku Ulander/dpa)

Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Als Angela Merkel zum Rednerpult geht, um über Krieg und Frieden in Europa zu sprechen, steht Viktor Orbán auf und klatscht. Er ist nicht allein. Alle Staats- und Regierungschefs, die zum Kongress ihrer Europäischen Volkspartei (EVP) gekommen sind, spenden der Bundeskanzlerin Beifall. 50 Sekunden, dann hebt Merkel beschwichtigend die Arme und sagt: "Danke, danke, aber ihr wisst ja noch gar nicht, was ich sage. Ich würde vorsichtig sein." Es dauert dann ein wenig, bis Merkel zum eigentlichen Thema kommt: "Lieber Alex, danke für den Wahlkampf, aber du weißt, mein Herz schlägt für Manfred Weber."

Eine gute halbe Stunde später ist es soweit: Der Mann, für den das Herz der Kanzlerin schlägt, wird zum EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl im kommenden Mai gekürt. Manfred Weber, 46, hat seinen vier Jahre älteren Herausforderer Alexander Stubb geschlagen. Der CSU-Mann aus Wildenberg in Niederbayern greift nun nach dem mächtigsten Amt, das die Europäische Union zu vergeben hat: Präsident der EU-Kommission.

Kann der Kandidat es schaffen, die Bürger zu begeistern?

Weber also steht auf der Bühne des Kongresszentrums Messukeskus in Helsinki, aus den Lautsprechern dröhnt Hardrock. Er wirkt gelöst, dankt seinen Unterstützern und sagt, was man eben nach einer gewonnenen Wahl sagt. Dann ertönt die Europahymne. Und schließlich der Song "We are Family". In der Tat ist der Kongress in Helsinki so etwas wie ein Familientreffen. Weber, so viel steht fest, ist nun der große Liebling der Christdemokraten. Er soll die EVP bei der Europawahl wieder zur stärksten Kraft machen. Als ihr Spitzenkandidat hat er die Chance, Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident nachzufolgen.

Bleibt die Frage: Ist Weber überhaupt der Richtige? Ist der CSU-Mann der Kommissionschef, den Europa jetzt braucht? Ist er einer, der diese zerrissene EU zusammenhält? Einer, der versöhnen, aber auch hart kämpfen kann, um Europas Werte und um Europas Platz in der Welt? Und schafft er es, die Bürger zu begeistern? Das alles muss Weber nun beweisen.

In Helsinki verspricht der Spitzenkandidat, "ein neues Kapitel" aufzuschlagen. Er will weg von einem Europa der Eliten, in dem Menschen heute in London und ein paar Jahre später in Madrid arbeiten, wie er sagt. Weber will Europa "den Bürgern zurückgeben" - in seiner Heimatgemeinde Wildenberg und anderswo. "Dieses Europa muss ein Europa der Bürger werden", sagt Weber. Ein Europa, das nicht nur ein innovatives Kreativlabor für die Welt sei, sondern ein besserer Platz für die Zukunft der Menschen.

Weber erzählt in Helsinki die Geschichte seines Bruders, der an Krebs gestorben ist. Er spricht vom Gefühl der Hoffnungslosigkeit, von Gesprächen mit Ärzten, die einem die Kraft rauben können. 40 Prozent aller Europäer seien krebsgefährdet, sagt Weber. Deshalb wolle er einen "Masterplan" für den Kampf gegen Krebs.

Der Wettstreit um Ideen für Europa hat begonnen - und Weber möchte dabei "Brückenbauer" sein. In den vergangen vier Jahren hat er als EVP-Fraktionschef im Europaparlament bewiesen, dass er einen oftmals zerstrittenen Klub zusammenhalten kann. Kein leichter Job, denn immer wieder schert insbesondere ein Ministerpräsident der EVP-Familie aus und stellt Europas Grundwerte infrage: der Ungar Orbán von der Fidesz-Partei. "Enfant terrible" nennt ihn EVP-Chef Joseph Daul. Der Ungar ist schon lange auf einer Art Feldzug gegen die "liberale" Demokratie.

In Helsinki ist davon allerdings nichts zu hören. Orbán spricht lieber über Helmut Kohl, der Fidesz einst in die EVP eingeladen habe. "Diese Partei ist die Familie", sagt Orbán und lobt Weber ausdrücklich. "Manfred" wisse immer, wann es Zeit für eine Debatte und wann es Zeit sei, Einigkeit zu demonstrieren, sagt der Ungar. Solche Sätze wird sich Weber im Wahlkampf vorhalten lassen müssen. Einem seiner Gegenspieler, dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans, dürfte Webers Haltung gegenüber Orbán ausreichend Angriffsfläche bieten.

Dass Weber als Spitzenkandidat in ganz Europa ankommt, ist nur zu einem gewissen Grad von Belang. Europawahlen sind immer auch Abstimmungen über die nationale Politik in den Mitgliedstaaten. Ganz einfach dürfte es für Weber dennoch nicht werden, denn gerade in Südeuropa gibt es wegen der Euro-Krise noch immer Ressentiments gegen vieles, das aus Deutschland kommt.

Ob Weber wirklich Kommissionschef wird, hängt maßgeblich vom Wahlausgang ab. Gut möglich, dass die EVP eine Koalition mit zwei oder drei anderen Parteifamilien schmieden muss. Sollte Weber es nicht schaffen, eine Mehrheit im EU-Parlament für seine Wahl zum Kommissionschef zu organisieren, dürften die Staats- und Regierungschefs die Sache wieder an sich ziehen. Genau darauf setzt etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er lehnt das Konzept der Spitzenkandidaten ab.

Und die Kanzlerin? Merkel ließ bei ihrem wohl letzten EVP-Kongress als CDU-Vorsitzende keinen Zweifel daran, dass sie gewillt ist, für Europa und Weber zu kämpfen. Fragt sich, wie lange noch.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: