Horst Seehofer hatte sich viel vorgenommen für die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft, die Ende des Jahres zu Ende geht. Noch im November sagte der Bundesinnenminister, er sei zuversichtlich, dass "wir bis zum Ende dieses Jahres eine politische Verständigung über die Grundsätze der europäischen Migrationspolitik erreichen können". Stattdessen musste sein Staatssekretär Stephan Mayer am Montag einräumen, dass dieses Vorhaben gescheitert ist: Es gebe weiterhin unterschiedliche Auffassungen, wie "Solidarität zwischen den europäischen Mitgliedstaaten vonstatten gehen soll". So konnte die Bundesregierung bei der letzten EU-Innenministerkonferenz unter deutscher Ratspräsidentschaft nur einen Fortschrittsbericht präsentieren. Seehofer selbst nahm an der Videokonferenz noch nicht einmal teil: Wegen eines Corona-Kontakts war er vorsorglich in Quarantäne.
Es werde "nicht Wochen oder Monate, sondern eher Jahre" dauern, sich zu einigen, sagte ein Diplomat
Nicht, dass Beobachter ernsthaft mit einem Durchbruch gerechnet hätten: Die Staaten der EU streiten seit Jahren um die Asylpolitik. Die Pandemie hat die Diskussionen zusätzlich erschwert. Im aktuellen System sehen sich vor allem die südlichen Länder belastet, wo viele Schutzsuchende ankommen. Andere Staaten wie Ungarn, Polen oder Österreich lehnen es jedoch ab, sich zur Aufnahme von Migranten verpflichten zu lassen. Ein hochrangiger EU-Diplomat sagte in der vergangenen Woche, es werde "nicht Wochen oder Monate, sondern eher Jahre" dauern, sich zu einigen. Es sei schon ein erheblicher Fortschritt, dass der Gesetzesvorschlag aus dem September, mit dem die EU-Kommission versucht, die unterschiedlichen Interessen zu vereinen, von jedem Mitgliedstaat überhaupt als geeignete Diskussionsgrundlage angesehen werde, sagte Mayer nach Ende der Videokonferenz. In den Jahren 2015 oder 2016 hätten sich einige EU-Länder jeder Diskussion über eine europäische Lösung verweigert.
"Alles, was Bundesinnenminister Horst Seehofer in der EU-Asylpolitik vorzuweisen hat, ist ein Fortschrittsbericht ohne Fortschritte", kritisierte der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt. Um die unwürdigen Zustände vor allem auf Lesbos zu beenden, brauche es "keinen neuen Pakt, sondern die Durchsetzung von EU-Recht und EU-Regierungen, die vorangehen und nicht zulassen, dass die EU Schutzsuchende erfrieren lässt". Auch der Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl forderte die EU zu beherzterem Handeln auf: "Kein Regierungschef und keine Regierungschefin der EU verteidigt mit Nachdruck das Menschenrecht auf Asyl", schrieb er am Montag in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau.
Einig wurden sich die Innenminister dagegen bei einem anderen Thema: Ermittler müssten im Kampf gegen Terror oder organisiertes Verbrechen auch auf verschlüsselte Kommunikation zugreifen können, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Datenschützer und Journalistenverbände hatten bereits protestiert. Nötig wäre dafür allerdings ein Gesetz, das die EU-Kommission vorschlagen müsste. Als Teil einer Anti-Terror-Strategie hatte die Behörde kürzlich angekündigt, gemeinsam mit den EU-Staaten daran arbeiten zu wollen, eine Lösung für rechtmäßigen Zugriff auf verschlüsselte Daten zu finden.