EU-Flüchtlingspolitik:"Wir wollen einen kontrollierten Zufluss"

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EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sieht in Libyen einen "offenen Korridor für Schmuggler, Schleuser und Terroristen". (Foto: Attila KIsbenedek/AFP)

In Zukunft müsse es offene, legale Migrationswege nach Europa geben, sagt EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos im Interview.

Interview von Andrea Bachstein

Dimitris Avramopoulos, 64, ist Migrations-, Innen- und Sicherheitskommissar der EU. Der frühere griechische Diplomat und Minister in Athener Regierungen, trat sein Amt 2014 an, bald danach kulminierte die Flüchtlingskrise und Europa wurde von schweren Terroranschlägen getroffen.

SZ: Haben Sie sich Ihre Arbeit so vorgestellt, als Sie als EU-Kommissar angefangen haben?

Dimitris Avramopoulos: Ich habe das, als ich anfing, nicht erwartet. Binnen Monaten wurde Migration und Flucht das Top-Thema zusammen mit der Sicherheit, für die ich auch zuständig bin. Es ist jetzt der vielleicht wichtigste Job in Brüssel. Es geht darum, die Mitglieder besser zu koordinieren für greifbare Ergebnisse. Wir sind weitergekommen, aber es braucht noch mehr Fortschritte. Das sind meine Hausaufgaben.

Bis die Zusammenarbeit besser funktioniert, was ist da zu tun angesichts der Lage auf dem Mittelmeer?

Wir müssen Schleuser wirksamer bekämpfen - die EU-Außenminister haben dazu jüngst neue Maßnahmen beschlossen, auch um den Schmuggel von billigen Schlauchbooten nach Libyen einzudämmen. Die Situation im Mittelmeer kann nicht so bleiben. Sie wird von den Menschenschmugglern missbraucht, nicht von den NGOs, privaten Rettungsorganisationen, wie einige behauptet haben. Wir müssen den NGOs sehr dankbar sein. Der Kodex für die Seenotrettung, der nun von Italien in Absprache mit den NGOs, der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten ausgearbeitet wird, wird dabei helfen.

Die Notlage ist auf dem Mittelmeer Normalität. Italien hat davon gesprochen, die Regeln zu ändern, damit nicht alle Bootsflüchtlinge dort landen, es sind mehr als 100 000 dieses Jahr.

Ich verstehe, was Italien umtreibt. Das Land braucht die volle Unterstützung der europäischen Partner. Das haben auch die EU-Innenminister auf ihrem letzten Treffen in Tallinn bekräftigt. Deutschland hat seinen Umverteilungs-Anteil noch einmal erhöht. Das ist gelebte Solidarität. Wir setzen auf Resettlement ( direkte Umsiedlung von Flüchtlingen aus den Herkunftsländern, Anm. d.Red.), Umverteilung und Integration. Es muss offene, legale Wege für Wirtschaftsmigranten geben. Die EU war nicht gut auf das Flüchtlings- und Migrationsproblem vorbereitet bis vor zwei Jahren. Jetzt haben wir den Treuhandfonds für Afrika, Partnerschaften mit den Herkunfts- und Transitländern. Die Kommission hat einen Aktionsplan mit konkreten Hilfsmaßnahmen für Italien, unter anderem, für die Rückführung abgelehnter Asylbewerben vorgelegt. Außerdem neue Initiativen wie den Resettlement-Plan.

Italien hatte zu Gaddafis Zeit ein Abkommen mit Libyen, um die Migration zu stoppen, das funktionierte für Italien ganz gut. Aber die Flüchtlinge wurden schon damals in Lager gesteckt .

Die EU ist bereit, Libyen zu unterstützen. Wir tun das bereits, etwa durch die Ausbildung der Küstenwache und indem wir zusammen mit IOM (Internationale Organisation für Migration) und UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) arbeiten, die oft schreckliche Situation von Migranten in Libyen zu verbessern. Aber die Lage ist weiter sehr instabil. Der Konflikt muss gestoppt werden. Die Libyer sollten sich einigen, vor allem im eigenen Interesse. Zurzeit haben wir einen offenen Korridor für Schmuggler, Schleuser und Terroristen.

Sollte man humanitäre Korridore einrichten, zumindest befristet, bis sich die Lage stabilisiert?

Wir haben einige humanitäre Korridore, etwa das Resettlement-Programm mit IOM und den UN und Hilfen für in Libyen gestrandete Menschen, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollen. Wir versuchen, sicherere Bedingungen zu schaffen. Das klingt gut, aber es zu tun, ist schwierig.

Die Programme helfen bisher nur einer relativ geringen Zahl.

Wir müssen ein europäisches Konzept für offene Wege nach Europa entwickeln, für legale Arbeitsmigration. Die EU braucht in der Zukunft Migration. Es gibt schon das EU-Blue Card-System, Deutschland hat es zuerst eingeführt.

Den legalen, an Bedingungen geknüpften Aufenthaltsnachweis für Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Ländern.

Wir müssen die Bedürfnisse definieren und haben dafür bereits Migrations-Verbindungsbeamte in Herkunftsländer entsandt. Wir wollen einen kontrollierten Zufluss, keinen unkontrollierten. Der Weg zu einer regulären Migration ist kompliziert.

Einige Länder verweigern sich der Verteilung von Flüchtlingen.

Das ist aber eine beschlossene Verpflichtung, keine freiwillige Sache. Wir haben deshalb vor vier Wochen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet ( gegen Ungarn, Polen und Tschechien).

Das könnte am Ende heißen, diese Länder werden finanziell bestraft.

Diese Länder haben immer noch etwas Zeit, es sich anders zu überlegen, ehe die EU weitere Maßnahmen einleitet. Aber ich befürchte, das hat nicht nur mit den Regierungen zu tun, sondern mit innenpolitischen Entwicklungen, dem wachsenden Populismus.

Was müsste das Ziel einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik sein?

Ich glaube, Europa ist weniger in Gefahr durch die Wirtschaftskrise als durch die Migration und Flüchtlingsbewegung. Und wir müssen uns bewusst sein, dass die Bewegungsfreiheit in der EU ist nicht einfach ein Geschenk ist, sondern seine größte Errungenschaft. Aber sie muss verteidigt werden. Wir sollten uns um sie sorgen. Es gibt heute diesen Widerspruch: Wir wollen alle in Freiheit leben, aber alle Länder reagieren darauf, indem sie ihre eigene Sicherheit mit Grenzen erhöhen wollen. Zur Sicherheit brauchen wir Informationsaustausch unter den Staaten, aber sie wollen ihre besten Informationen für sich selbst behalten. Was wir aber brauchen, ist Vertrauen in den gemeinsamen Raum.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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