EU-Flüchtlingspolitik:Solidarität, aber freiwillig

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Der Umgang der EU mit der Flüchtlingskrise löst allerhand Streit aus. Ratspräsident Donald Tusk hat sich deshalb einen neuen Plan zurechtgelegt - eine Art Quadratur des Kreises.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Angela Merkel machte es wie immer. Als sie am Donnerstagnachmittag am Ratsgebäude in Brüssel eintraf, hielt sie sich an ihre alte Devise: Bloß keine zu hohen Erwartungen wecken. In der Flüchtlingskrise würden "nachhaltige, langfristige Lösungen" benötigt. Dazu gebe es Vorschläge der EU-Kommission, die in die richtige Richtung gingen. "Wir haben wichtige Fragen zu besprechen", sagte die Bundeskanzlerin. Das klang nicht nach einem großen Wurf und sollte es auch nicht. Die Krise um Griechenland ist nicht die einzige, die im schlimmsten Fall ungelöst bleiben könnte, da bleibt Merkel lieber vage.

Wenn auch überlagert vom Euro-Drama war der Umgang mit der Flüchtlingskrise das eigentlich große Thema des Gipfels - eines überdies, das genügend Stoff für Streit bereithielt. Ratspräsident Donald Tusk hatte sich deshalb einen Plan zurechtgelegt, der gefährlich der Quadratur des Kreises ähnelte. Einerseits hatte er wegen des Widerstands zahlreicher Staaten den Plan von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verworfen, Italien und Griechenland durch eine verbindliche Quotenlösung zu entlasten. Nach Kriterien wie Größe und Wirtschaftskraft hätten 40 000 Flüchtlinge aus beiden Ländern auf die anderen EU-Staaten verteilt werden sollen. Ein Plan, "der nicht fliegt", wie Tusk vorab wissen ließ. Die 40 000 Flüchtlinge sollen nach seinem Willen aber trotzdem verteilt werden - "freiwillig", aber doch für Italien und Griechenland verlässlich. Bis Ende Juli müsse es klare Zusagen geben, sagte Tusk vor Beginn des Gipfels. Freiwilligkeit dürfe keine Ausrede sein, nichts zu tun. Denn: "Solidarität ohne Opfer ist nichts als Verlogenheit."

Die östliche Flüchtlingsroute werde zu wenig berücksichtigt, klagen die Ungarn

Vor Gipfelbeginn zeichnete sich ab, dass das den einen zu wenig und den anderen zu viel sein würde. Aus Tusks Heimat Polen sowie aus Tschechien, der Slowakei und insbesondere Ungarn kam Widerstand. Der estnische Ministerpräsident Taavi Rõivas klagte, der von der Kommission vorgeschlagene Verteilungsschlüssel sei nicht "verhältnismäßig". Vor allem aber die Ungarn hatten im Vorfeld für Wirbel mit der Ankündigung gesorgt, entgegen der EU-Regeln keine Flüchtlinge mehr zurücknehmen zu wollen, die über das Land in andere EU-Staaten weitergereist sind. Nach einem Sturm der Empörung nahm die Regierung in Budapest die Ankündigung zwar zurück, blieb aber bei ihrer grundsätzlichen Kritik.

Die EU ignoriere Hinweise auf die stark genutzte Flüchtlingsroute über den Balkan, auf der Ungarn liegt, sagte Außenminister Péter Szijjártó am Donnerstag. Stattdessen habe Brüssel sich zuletzt vor allem um die Situation an den Mittelmeerküsten gekümmert. Dies sei "inakzeptabel und unverständlich". Es sei ein Problem, dass elf EU-Staaten insgesamt 15 000 illegale Einwanderer nach Ungarn abschieben wollten, obwohl diese nicht über Ungarn, sondern zuerst über Griechenland eingewandert seien. Zumindest für die Forderung, nicht nur das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer zu sehen, gab es in Brüssel auch Unterstützung.

Ziemlich unumstritten war überdies der Plan, die Abschiebung nicht als schutzbedürftig angesehener Flüchtlinge in ihre Heimatländer zu forcieren. Ein falscher Ansatz nach Ansicht von Menschenrechtlern. Nur mit einer gerechten Aufteilung der Verantwortung könne die Flüchtlingskrise bewältigt werden, klagte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die "desaströse Situation" in den Flüchtlingscamps in Griechenland und Italien mache das Versagen der EU-Migrationspolitik deutlich.

Ganz grundsätzlich wollte die EU vom Gipfeltreffen gerne die Botschaft aussenden, dass sie das große Ganze im Blick hat. An die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sollte am Freitag der Auftrag ergehen, angesichts der veränderten Weltlage eine neue Sicherheitsstrategie zu erarbeiten. Und die Mitgliedstaaten sollten aufgefordert werden, "ausreichende Verteidigungsausgaben" bereitzuhalten.

Mit einer ganz eigenen Agenda reiste ein einzelner Herr an. Ein "wichtiger Meilenstein" sei das Treffen, sagte David Cameron. Der britische Premierminister nahm sich vor, im Kreis der Kollegen eine Art Wahlkampfrede zu halten, um sie für jene Reformen zu gewinnen, die den Briten einen Verbleib in der EU schmackhaft machen sollen. Tusk ließ vorsorglich wissen: "Die fundamentalen Werte der EU stehen nicht zum Verkauf."

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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