EU-Beitritt:Bulgarien verlangt neue Geschichtsschreibung von Nordmazedonien

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Die Beitrittsverhandlungen zur EU könnten nur beginnen, wenn das Nachbarland seine Sprache fortan als bloßen Dialekt und seinen Nationalhelden als Bulgaren bezeichne, heißt es aus Sofia

Von Tobias Zick

Das Land, das vor nicht langer Zeit sogar seinen Namen geändert hat, um die Chancen auf eine EU-Mitgliedschaft zu steigern, steht vor mächtigen neuen Hindernissen. Man werde die Aufnahme formaler Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien blockieren, heißt es aus dessen Nachbarland Bulgarien, das bereits seit 13 Jahren Mitglied ist - wenn die Regierung in Skopje nicht wesentliche Teile ihrer Geschichtsschreibung ändert.

So fordert die bulgarische Regierung, Nordmazedonien müsse anerkennen, dass die dortige Landessprache lediglich ein Dialekt des Bulgarischen sei - und nicht etwa eine eigenständige Sprache namens Mazedonisch, wie sie "künstlicherweise" seit der Herrschaft des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito bezeichnet werde.

Ein Nationalheld des kleinen Landes dürfe nicht mehr als Mazedonier bezeichnet werden, so eine Forderung aus Bulgarien

Auch müsse Skopje mit seinen "unbegründeten Behauptungen" aufhören, es existiere eine "mazedonische Minderheit in Bulgarien". Was die Gemüter aber besonders erhitzt: Ein Mann namens Goze Deltschew, der in Nordmazedonien als Held verehrt wird, soll nicht mehr als Mazedonier bezeichnet werden, sondern als Bulgare. Deltschew hatte im 19. Jahrhundert Aufstände gegen die Herrschaft der Osmanen auf der Balkanhalbinsel angeführt.

Es gab in den vergangenen Wochen schon Demonstrationen in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje deswegen. Auf den Bannern waren Slogans zu lesen wie: "Wach auf, Goze, sie haben dich verkauft!" Unterdessen hat die bulgarische Regierung ihre Positionen in einem mehrseitigen Dokument bekräftigt und dieses an Vertreter der anderen EU-Mitgliedstaaten verteilt. Darin heißt es etwa, wie die Wochenzeitung Politico berichtet, Bulgarien könne nicht akzeptieren, dass der "noch andauernde Prozess der Nationenbildung" im Nachbarland sich etwa auf die "Leugnung unserer gemeinsamen ethnischen und sprachlichen Wurzeln" stütze.

Bei einem Treffen von EU-Botschaftern vergangene Woche hat der bulgarische Vertreter laut Politico in einer "sehr langen und emotionalen Rede" dargelegt, warum sein Land ein Veto gegen die geplante Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien einlegen werde, wenn die eigenen Forderungen nicht berücksichtigt würden. So hatte es zuvor schon der bulgarische Verteidigungsminister angedroht.

Eigentlich sollte eine gemeinsame Historikerkommission die Streitpunkte beilegen

Dabei haben die beiden Länder im August 2017 eigentlich einen Vertrag über "gute Nachbarschaft" geschlossen. Der sieht unter anderem vor, dass eine gemeinsame Historikerkommission daran arbeitet, die Streitpunkte beizulegen. Doch das jüngste Treffen der Kommission Mitte Oktober endete nach zwei Tagen ohne wesentliche Fortschritte, abgesehen von der Einigung darauf, dass man sich vor Ende dieses Jahres noch einmal treffen werde, und im kommenden Jahr dann weitere fünf Male, "sofern die Covid-19-Bedingungen es zulassen", wie einer der nordmazedonischen Historiker es anschließend zusammenfasste. Einer seiner bulgarischen Kollegen sagte, die Atmosphäre bei den Gesprächen sei so "grau" gewesen wie das gegenwärtige Wetter über Skopje.

Nordmazedoniens Premierminister Zoran Zaev äußerte sich dennoch vorsichtig optimistisch, dass man vielleicht doch noch eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung finden werde - wenn nicht, daraus macht er zugleich keinen Hehl, sieht es schlecht aus mit der EU-Perspektive für sein Land.

Nicht, dass Zaev derartigen Kummer nicht gewohnt wäre: Neben einer Reihe weiterer Reformen willigte er vor zwei Jahren ein, sein Land, das bis dahin schlicht "Mazedonien" geheißen hatte, umzubenennen - damit das benachbarte Griechenland, das eine Region gleichen Namens hat, seinen Widerstand gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen aufgibt. Damit ging Zaev ein gewaltiges Risiko ein; die moskaunahen Nationalisten in seinem Land beschimpften ihn als Verräter.

Vergangenes Jahr dann legte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron überraschend sein Veto gegen die Beitrittsgespräche der EU mit Nordmazedonien und Albanien ein. Zaev trat daraufhin zurück, wurde ganz knapp wiedergewählt, und kurz darauf erklärte sich die Europäische Union dann doch bereit, die Beitrittsgespräche mit den beiden Ländern aufzunehmen. Losgehen soll es damit eigentlich noch dieses Jahr. Doch jetzt droht ein Veto der Bulgaren, den Prozess abermals aus der Bahn zu werfen.

Aus Sicht des international renommierten bulgarischen Politologen Ivan Krastev wäre das "absurd", zumal sich Bulgarien in der Vergangenheit für einen Beitritt des Nachbarlandes zur Europäischen Union starkgemacht hatte: Weder der Premierminister noch der Präsident dürften es zulassen, so Krastev, dass ihr Land nun aufgrund eines solchen Schritts "innerhalb der EU isoliert dasteht".

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