Erzbistum München:Gescheiterte Rehabilitation

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Trotz mehrerer Missbrauchsfälle ermöglichte das Erzbistum München einem vorbestraften Pfarrer, immer wieder mit Kindern in Kontakt zu treten.

Karin Prummer, Dominik Stawski

Es flossen Tränen, als sich der Pfarradministrator im Jahr 2008 von seiner oberbayerischen Gemeinde verabschiedete. Er hielt seine Predigt in Reimform, eine Ministrantenabordnung überreichte ihm Geschenke - allein, warum er die Gemeinde verlassen musste, das wusste damals niemand.

Das Erzbischöfliche Ordinariat bestätigte Informationen der Süddeutschen Zeitung, wonach der Pfarrer, der bis heute in Oberbayern als Kur- und Tourismusseelsorger tätig ist, 1986 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden ist. Und auch vorher gab es schon Vorwürfe gegen ihn: Als junger Kaplan kam er wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Jugendlichen 1980 aus seiner damaligen Pfarrgemeinde im Bistum Essen nach München, mit Zustimmung des Ordinariatsrats der Diözese. Erzbischof war damals Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI.

Zur Therapie in den Süden

Der Rat beschloss, dass der Pfarrer zur Therapie nach München kommen und in dieser Zeit in einem Pfarrhaus wohnen könne. Jedoch setzte ihn der damalige Generalvikar Gerhard Gruber - laut Ordinariat eigenmächtig - 1980 direkt wieder in einer Münchner Pfarrei zur Seelsorge ein. Zur Begründung sagt Gruber heute: "Wir wollten nicht, dass er den ganzen Tag nichts zu tun hat, außer einer Stunde Therapie."

Er bedauere diese Entscheidung, sagt der heute 81 Jahre alte Gruber. Doch der Pfarrer wurde rückfällig und 1986 wegen sexuellen Missbrauchs zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Nach dem Urteil arbeitete der Pfarrer zunächst in einem Altenheim und wurde 1987 erst Kurat und dann Pfarradministrator in einer Gemeinde in Oberbayern. Dort blieb er 21 Jahre. Von Vorfällen ist nichts bekannt. Der damalige Generalvikar Gruber sagt, das Urteil von 1986 habe kein Berufsverbot enthalten. "Ich war dafür, dass er wieder eingesetzt wird." Gruber sagt, er habe an die Rehabilitation des Pfarrers geglaubt, und sei bis heute davon überzeugt.

Der Pfarrer, heute 62 Jahre alt, wäre wohl weiter Pfarradministrator geblieben, hätte sich nicht das Missbrauchsopfer Wilfried F. aus dem Ruhrgebiet entschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Der Pfarrer soll Wilfried F. im Jahr 1979 nach einer Ferienfreizeit in der Eifel sexuell missbraucht haben. Damals war F. elf Jahre alt. Unter anderem habe ihn der Pfarrer zum Oralverkehr gezwungen. Erst Ende 2006, schreibt Wilfried F., habe er aufgehört, das Geschehene zu verdrängen. Er habe herausgefunden, dass der Mann weiter als Pfarrer auch mit Jugendlichen arbeite.

"Zum Schweigen bringen"

Wilfried F. schrieb ihm daraufhin E-Mails, fragte ihn, ob er ein schlechtes Gewissen habe und forderte eine Entschädigung. Die E-Mail habe der Beauftragte für Missbrauchsvorwürfe des Münchner Erzbistums, Siegfried Kneißl, beantwortet. Eine der E-Mails aus dem Jahr 2008 liegt der SZ vor. Darin bittet Kneißl den Absender, seine Anonymität aufzugeben, damit er den Vorwürfen nachgehen könne. F. tat dies nicht. Wenige Tage später, so sagt Wilfried F., stand bei ihm die Polizei vor der Tür. Der Vorwurf: Er soll den Pfarrer erpresst haben. "Das Ordinariat wollte mich zum Schweigen bringen", sagte F. Das Verfahren gegen ihn wurde im Mai 2008 eingestellt, eine Erpressung war nicht nachzuweisen. Es dauerte noch etwa drei Monate, dann wurde der pädophile Geistliche versetzt.

Er wechselte in eine andere oberbayerische Gemeinde, wo er bis heute als Kur- und Tourismusseelsorger arbeitet. Ihm wurde laut Ordinariat auferlegt, keine Kinder-, Jugend- und Ministrantenarbeit mehr zu machen. Denn: "Ein auf Wunsch des neuen Erzbischofs Reinhard Marx erstelltes forensisches Gutachten rechtfertigte aus Sicht des Ordinariats nicht den Verbleib des Mannes in der Pfarrseelsorge."

Doch der Pfarrer feiert Gottesdienste für Jugendliche. Der Pfarrbrief berichtet von einem "schönen Gottesdienst" auf einem Jugendzeltlager im August des vergangenen Jahres.

© SZ vom 13.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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