Kanzlerin trifft Frankreichs neuen Präsidenten:Merkels neue Chance heißt Hollande

Lesezeit: 2 min

Euro-Erhalter oder Euro-Abwickler? Merkel und Hollande werden in beiden Fällen in die Geschichte eingehen. Für eine Anwärmphase haben die beiden keine Zeit, wenn sie sich am Dienstag zum ersten Mal treffen. Doch vielleicht sind sich Frankreichs Präsident und die deutsche Kanzlerin ähnlicher, als viele denken. Es muss ja nicht gleich zu Küssen kommen.

Stefan Ulrich

Das Schöne an Volksweisheiten ist: Es gibt sie für alle Gelegenheiten. So passt auf Nicolas Sarkozy und Angela Merkel der Sinnspruch, wonach sich Gegensätze anziehen. Die Zuneigung des Eruptiven und der Bedächtigen war so groß, dass sie in Bussi-Diplomatie mündete. Wer nun in Deutschland dieser Verbindung nachtrauert, übersieht, wie sehr sich die beiden anfangs nervten. Erst die Krise zwang sie zusammen.

Während Merkel und Sarkozy nur das liberal-konservative Lager abdeckten, repräsentieren Merkel und Hollande die Rechte und die Linke - die zwei großen politischen Familien der EU. (Foto: AFP)

François Hollande und Angela Merkel, die sich am Dienstag in Berlin offiziell zum ersten Mal sehen, können sich keine Anwärmphase erlauben. Denn die Krise ist schon da. Der Sozialist und die Christdemokratin werden entweder als Bewahrer oder als Abwickler des Euro - und damit der europäischen Integration - in die Geschichte eingehen. Sie sind von ihrem ersten Treffen an zum Erfolg verdammt. Dieser Druck darf ganz Europa Hoffnung machen.

Natürlich war es ein Fehler der Physikerin Merkel, die Kräfteverhältnisse in Frankreich falsch einzuschätzen, ganz auf einen Sieg Sarkozys zu setzen und Hollande öffentlich zu düpieren. Doch die Kanzlerin ist anpassungsfähig genug, den sozialistischen Wahlsieger "mit offenen Armen" zu empfangen. Dabei muss es nicht gleich zu Küssen kommen. Eine sachliche Partnerschaft reicht aus. Wenn der Präsident und die Kanzlerin in der Wirtschafts- und Finanzpolitik Kompromisse finden, sind sie europapolitisch kaum mehr angreifbar.

Während Merkel und Sarkozy nur das liberal-konservative Lager abdeckten, repräsentieren Merkel und Hollande die Rechte und die Linke - die zwei großen politischen Familien der EU. Verständigen sie sich, stärkt sie das innenpolitisch gegenüber der jeweiligen Opposition. Zugleich werden ihre Beschlüsse auf mehr Akzeptanz bei den anderen Völkern Europas stoßen als die Entscheidungen des Duos Merkel-Sarkozy.

Das größte Problem in dieser Phase der Euro-Rettung ist es nicht, die Finanzmärkte zu überzeugen, sondern die Bürger. Was nutzt die reine Sparlehre, wie sie in Berlin verfochten wird, wenn die Menschen in Athen, Madrid und vielleicht bald auch in Paris dagegen auf die Barrikaden steigen oder Unregierbarkeit herbeiwählen?

Politik ist die Kunst des Möglichen. Recht zu haben reicht in Demokratien nicht aus. Das sollte auch die Bundesregierung beachten, die vor deutscher Besserwisserei nicht gefeit ist. Sie muss von ihrem Sparkurs Abstriche machen, während Frankreich zu akzeptieren hat, dass Deutschland nicht für die Schulden aller Euro-Staaten haften kann.

Hollande und Merkel sind sich ähnlicher, als es ihr Zwist der vergangenen Monate ahnen lässt. Sie wurden beide während ihres Aufstiegs von den Elefanten ihrer Parteien unterschätzt. Sie sind beide nüchtern, abwägend, pragmatisch, unprätentiös. Dazu pflegen sie jene Ironie, die einem Streit die Schärfe nehmen kann. Sind sie sich am Ende allzu ähnlich, um sich zu verstehen? Auch darauf weiß der Volksmund eine Antwort: Gleich und Gleich gesellt sich gern.

© SZ vom 14.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Präsidentschaftswahl in Frankreich
:Triumph der Sozialisten

Nach 17 Jahren regiert wieder ein sozialistischer Präsident: François Hollande gewinnt mit knapp 52 Prozent die Stichwahl, der Konservative Nicolas Sarkozy muss den Élysée-Palast räumen. Der Wahltag in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: