Erschossener Geflüchteter in Stade:Fünf Kugeln, viele Fragen

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Symbolfoto. (Foto: dpa)

Ein Polizist, der einen Geflüchteten erschoss, wird nicht angeklagt. Es sei "glasklare Notwehr" gewesen, sagt der Oberstaatsanwalt. Doch warum waren so viele Schüsse nötig?

Von Peter Burghardt, Hamburg

Das Leben des Aman Alizada endete am 17. August 2019, an jenem Abend wurde der junge Afghane bei einem Polizeieinsatz in einer Stader Flüchtlingsunterkunft von einem Polizisten erschossen. Fünf Kugeln wurden abgefeuert, mindestens eine war tödlich. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft in Stade die Ermittlungen eingestellt: "Glasklare Notwehr", sagt Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas der Süddeutschen Zeitung, keine Anklage gegen den Schützen. Andere stellen sich immer mehr Fragen.

Für die Stader Staatsanwaltschaft ist der Fall eindeutig: Ein Mitbewohner rief die Polizei, in Todesangst. Der aus Afghanistan geflüchtete Aman Alizada habe laut Breas "massive psychische Probleme" gehabt und sei polizeibekannt gewesen. Und ein junger Türke habe sich von Alizada bedroht gefühlt. Von Alizadas Rachegefühlen ist die Rede, weil seine frühere Liebe türkisch zwangsverheiratet worden sei.

Zwei Streifen mit vier Beamten trafen nach dem Notruf ein, Alizada hatte eine Eisenhantel in der Hand. 1,20 Meter lang, 6,5 Kilo schwer. Pfefferspray zeigte keine Wirkung. Er habe "im Pfefferspray gebadet", heißt es. Weg mit der Stange, sonst schieße man, habe die Polizei gewarnt. Dann sollten sie halt schießen, soll Alizada gerufen haben und weiter mit der Hantel gedroht haben. Ein Polizist schoss fünfmal. "In letzter Konsequenz", so Oberstaatsanwalt Breas, "und das war auch in Ordnung."

"In Pfefferspray gebadet"? Geht das?

Der Notrufer in jenen Stunden war laut der Anwälte des Bruders von Aman Alizada allerdings kein Türke, sondern Afghane. Auch andere Zweifel bleiben. Die Kanzlei von Thomas Bliwier, der Rahmat Alizada vertritt, bereitet eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Stader Staatsanwaltschaft vor. Sicher sei dies eine knifflige Situation für die Polizisten gewesen, das stellt die Anwältin Doris Dierbach nicht in Abrede. Beamte müssen sich wehren dürfen, wenn sie angegriffen werden.

Die Aufklärung ist auch deshalb schwierig, weil Polizisten die einzigen Zeugen waren, die gesehen haben, was am Tatort geschah. Aber "in Pfefferspray gebadet"? Geht das? Ist Pfefferspray nicht höchst aggressiv? Und fünf Schüsse, die notwendig gewesen sein sollen, damit Polizisten einen traumatisierten 19-Jährigen mit Hantel außer Gefecht setzten? Gab es keine andere Möglichkeit, als ihn zu töten? Wäre zum Beispiel notfalls auch ein Schuss ins Bein möglich gewesen? Und wo war psychologischer Beistand, wenn der Mann aus Afghanistan angeblich so einschlägig bekannt war?

Die Anwältin Dierbach nennt die Ansicht der Staatsanwaltschaft zu den fünf Schüssen "vollkommen inakzeptabel", die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei in keiner Weise gewahrt gewesen. Auch kommt ihr angesichts eines Gutachtens ein Einschusswinkel auffällig vor. Man werde sich "damit gründlich auseinandersetzen." Ihr Mandant, Amans Bruder Rahmat Alizada, kam im vergangenen Jahr zur Beerdigung nach Hamburg. Jetzt ist er wieder in Australien, wo er lebt. "Mein Herz ist gebrochen", sagt er am Telefon zur Einstellung des Verfahrens. Er hofft auf den Einspruch - und darauf, dass die Justiz "einen fairen Job" mache.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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