Ergebnisse des EU-Gipfels:Ein Plan für Europa

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Die Erwartungen an den historischen Kompromiss von Brüssel sind immens. Doch nun geht der Streit woanders weiter.

Von Björn Finke, Cerstin Gammelin und Matthias Kolb, Brüssel/Berlin

Es ist eine historische Entscheidung, aber es gibt auch viel Kritik: Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich am Dienstagmorgen auf einen Corona-Hilfstopf und den neuen Haushalt der EU für die kommenden Jahre. Der Sondergipfel in Brüssel hatte da schon mehr als 90 Stunden angedauert. Für den Corona-Fonds soll die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte im großen Stil Schulden aufnehmen und einen beträchtlichen Teil der Mittel als nicht rückzahlbare Zuschüsse an Mitgliedstaaten ausschütten. Konkret geht es um 390 Milliarden Euro; dazu kommen 360 Milliarden Euro an günstigen Darlehen für Regierungen. Außerdem legte der Gipfel die Höhe des EU-Budgets für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 fest. Das Gesamtvolumen soll demnach 1074 Milliarden Euro betragen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, Europa habe "gezeigt, dass es in einer besonderen Situation bereit ist, neue Wege zu gehen". Sie warnte allerdings vor schwierigen Verhandlungen mit dem Europaparlament. Das muss der Vereinbarung der Mitgliedstaaten zustimmen. Die Gespräche wird die Bundesregierung führen, da Deutschland im Juli die rotierende Ratspräsidentschaft übernommen hat. Zudem müssen die 27 nationalen Parlamente das Novum billigen, dass die Kommission Schulden machen darf. Das alles sollte bis Jahresende abgeschlossen sein, damit die Hilfen im Januar ohne Verzögerung zur Verfügung stehen. In Berlin wird dieser Zeitplan als "sportlich" bezeichnet. Das gilt umso mehr, als dass Europaabgeordnete aus allen relevanten Fraktionen teilweise heftige Kritik an den Beschlüssen üben.

Sogar Merkels Parteifreund Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, warnt, dass er "jedenfalls keinen faulen Kompromissen zustimmen und auf eine angemessene Finanzausstattung für die Zukunftsthemen bestehen" werde. Zahlreiche Abgeordnete klagen, dass der Mehrjährige Finanzrahmen, der neue EU-Haushalt für 2021 bis 2027, zu wenig Geld für Politikfelder wie Forschungsförderung, Verteidigungszusammenarbeit, Grenz- und Klimaschutz vorsehe. Im Corona-Topf wurden ebenfalls Mittel für solche Programme gestrichen.

Auf diese Weise gelang es Ratspräsident Charles Michel, die Summe der Zuschüsse aus dem Topf von 500 auf 390 Milliarden Euro zu drücken. Nur so konnte er auf dem Gipfel die Zustimmung der Regierungen der Niederlande, Österreichs, Schwedens, Dänemarks und Finnlands gewinnen. Das Quintett kämpfte für möglichst geringe Zuschüsse und zog mit seinem hinhaltenden Widerstand den Zorn vieler anderer Regierungen auf sich. Ein weiterer Streitpunkt bei dem Spitzentreffen war die Frage, ob und wie Auszahlungen von EU-Mitteln daran geknüpft sein sollen, dass in den Empfängerländern der Rechtsstaat funktioniert. Der zunehmend autoritär regierende ungarische Premier Viktor Orbán wehrte sich gegen derartige Bedingungen; am Ende stand ein Kompromiss, den viele im Europaparlament als zu lasch kritisieren.

In der deutschen Politik stieß das Gipfelergebnis hingegen überwiegend auf Zufriedenheit. Die Union unterstützte die Resultate. "Das neue Finanzpaket ist die entschlossene Antwort auf Corona", schrieb der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf Twitter. Auch die Unionsfraktion im Bundestag äußerte sich zustimmend: Der Kompromiss sei "ein einmaliges Kraftpaket für Europa", teilten Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) und Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg (CDU) mit. Zugleich kündigten sie an, der Bundestag werde seine "Mitwirkungsrechte bei der Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses" sorgfältig und konsequent wahrnehmen. Hier geht es darum, dass die Abgeordneten der Kommission die Schuldenaufnahme erlauben müssen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nannte die Resultate "einen Wendepunkt hin zu einem stärkeren Europa, zu einer vollkommeneren Union".

Viel zu besprechen haben am Freitag Emmanuel Macron und Angela Merkel; das Foto stammt vom Juli 2020. (Foto: John Thys/Reuters)

Der Gipfel hatte bereits am Freitagmorgen begonnen und zwischenzeitlich kurz vor dem Abbruch gestanden. Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten schon im Mai vorgeschlagen, aus einem Corona-Topf 500 Milliarden Euro an Zuschüssen auszuschütten. Dass es nun fünf kleinen Staaten gelungen ist, das Volumen mit ihrem Widerstand auf 390 Milliarden Euro zu drücken, ist eine Schlappe für die beiden Spitzenpolitiker. Auf der anderen Seite heißt es in der EU-Kommission, noch vor drei Monaten wäre man heilfroh gewesen über die Aussicht, demnächst 390 Milliarden Euro Zuschüsse verteilen zu dürfen. Hauptprofiteure sind Länder, die stark unter der Pandemie leiden oder deren Wirtschaft ohnehin Probleme hat - zum Beispiel Italien und Spanien.

Gestritten wurde bei dem Gipfel auch über die Rabatte auf den Beitrag in den EU-Haushalt. Viele Regierungen forderten deren Abschaffung, doch Deutschland konnte seinen Nachlass weitgehend unverändert behalten. Er liegt bei 3,7 Milliarden Euro jährlich. Trotzdem wird die Bundesregierung mehr nach Brüssel überweisen müssen. Schließlich fällt mit Großbritannien ein wichtiger Beitragszahler weg.

In Berlin heißt es, der deutsche Beitrag werde zwischen 2021 und 2027 im Durchschnitt etwa 40 Milliarden Euro jährlich betragen. Im Moment sind es nur 29 Milliarden Euro.

© SZ vom 22.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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