Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:Heute bleibt der Scanner aus

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Symbol für die Auseinandersetzung um Fahrverbote: Die Station am Stuttgarter Neckartor, die regelmäßig Belastungen über den Grenzwerten misst. (Foto: Daniel Naupold/dpa)

Elektronische Kennzeichenkontrollen müssen künftig einen Anlass haben. Karlsruhe deutet aber an: Bei Diesel-Fahrverboten könnte das anders aussehen.

Von Wolfgang Janisch

Man redet eigentlich nicht so viel über Gefühle im Bundesverfassungsgericht. Man diskutiert über Grundrechtseingriffe und Verhältnismäßigkeit, vielleicht über Gesetzgebungskompetenz - beim höchsten deutschen Gericht geht es meist abstrakt und technisch zu. Es gibt aber einen Gefühlszustand, der seit vielen Jahren durch die Karlsruher Urteile geistert. Es ist dieses Unbehagen, das sich einstellt, wenn man ständig damit rechnen muss, irgendwo gefilmt, belauscht oder gerastert zu werden. Es macht nicht krank, aber vielleicht macht es unfrei. Dieses "Gefühl des Überwachtwerdens" ist längst grundrechtsrelevant geworden. 2003 wurde es in einem Urteil zur Herausgabe von Telekommunikationsdaten erwähnt, 2006 beim Thema Rasterfahndung. Im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung hieß es im Jahr 2010: ein "diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins" könne die unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte beeinträchtigen.

Dies alles gehört zur Vorgeschichte der Beschlüsse, mit denen der Erste Senat - als Berichterstatter war Johannes Masing zuständig - nun die Befugnisse zur Kfz-Kennzeichenkontrolle in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beanstandet hat - und damit nolens volens auch zu einer der großen Fragen dieser Wochen - Stellung bezog: den Diesel-Fahrverboten, oder genauer deren Durchsetzung per Kennzeichenkontrolle.

Eigentlich geht es ja um eine schmerzfreie Form der Überwachung: Die stationären oder mobilen Systeme, die in den Ländern im Einsatz sind, rastern die Nummernschilder und löschen den allergrößten Teil automatisiert - das sind Millionen "Nichttreffer", die mit keiner Datenbank zusammenpassen. Im zweiten Arbeitsgang werden die "unechten Treffer" aussortiert, die dadurch entstehen, dass ein Gerät beispielsweise verschmutzte Schilder nicht richtig lesen kann. Ein Polizist schaut sie durch und drückt auf "Delete", wenn der Abgleich negativ ist. Nur bei den "echten Treffern", ein paar hundert pro Jahr, muss der Betroffene mit einer Reaktion rechnen. Die Polizei sucht so nach gestohlenen Autos, Kriminellen oder Störern vor Großveranstaltungen.

Aber obwohl "Nichttreffer" und "unechte Treffer" praktisch folgenlos bleiben, sieht das Verfassungsgericht hier das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Und zwar deshalb, weil etwa bei Fahndungen mit großer Streubreite ebenjenes "Gefühl des Überwachtwerdens" entstehen könne. Dass die Autofahrer in den meisten Fällen nichts davon bemerkten, ändere daran nichts. "Denn dadurch entfällt zwar die Lästigkeit solcher Maßnahmen, nicht aber ihr Kontrollcharakter und die daran liegende Beeinträchtigung der individuellen Freiheit, die zugleich die Freiheitlichkeit der Gesellschaft insgesamt betrifft." Bemerkenswert daran ist: Das Bundesverfassungsgericht korrigiert sein eigenes Urteil von 2008 zur Kfz-Kennzeichenkontrolle, nach dem der automatisierte Scan das Grundrecht nicht einmal berührte und damit gleichsam außerhalb des Grundgesetzes stattfand. Kein "Gefährdungstatbestand" bei spurenloser Löschung, befanden die Richter damals. Und das Bundesverwaltungsgericht erklärte 2014 auch den visuellen Abgleich durch Beamte bei sofortiger Löschung für datenschutzrechtlich irrelevant.

Dass man nun beim Autonummern-Scan wieder unter das Dach des Grundgesetzes zurückgekehrt ist, wird für die Praxis spürbare Folgen haben. Erstens müssen solche Kontrollen einen bestimmten Anlass haben. Das kann ein G-20-Gipfel oder ein Bundesliga-Spiel sein oder der Hinweis auf Anschlagspläne. Nicht zulässig ist dagegen, dass die Polizei einfach mal einen "Fahndungstag" anordnet. Aus Sicht des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink ist das die vielleicht größte Gefahr solcher Überwachungsbefugnisse. Anfangs werden sie für einzelne Gefahrenlagen genutzt, aber mit verfeinerter Technik wird daraus Routine. Nach dem Motto: Wer sucht, der wird schon irgendetwas finden, das die Suche dann nachträglich legitim erscheinen lässt. Dieser Entwicklung versucht das Gericht einen Riegel vorzuschieben: "Die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein ist mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzliche unvereinbar."

Zweitens dürfen solche Kontrollen nur dem Schutz von Rechtsgütern von "erheblichem Gewicht" dienen. Das ist keine unüberwindbare Hürde, aber sie liegt immerhin höher als das, was in den drei Landesgesetzen vorgesehen war; hier werden die Gesetzgeber nachbessern müssen. Und drittens: Die erfassten Autonummern dürfen eben nicht mit allen verfügbaren Beständen abgeglichen werden, von Ausländer- über Gefährder- bis zu Fahndungs-Datenbanken. Vielmehr setzt der Zweck der Kontrolle dem Abgleich Grenzen; wer nach gestohlenen Autos sucht, der darf das gewonnene Material nicht dazu nutzen, um nach Straftätern zu fahnden. Baden-Württemberg hat da die erhobenen Daten in schwäbischer Effizienz durchaus vielseitig verwendet. Konsequenzen wird die Entscheidung auch für die Schleierfahndung haben. Sie bleibt zwar grundsätzlich erlaubt; Kontrolle ist der Preis der offenen Grenzen im Schengen-Raum. Aber nur dort, wo es für den Grenzverkehr erforderlich ist, nicht aber an allen Durchgangsstraßen.

Zu den aktuellen Diesel-Fahrverboten sagt das Gericht nur wenig. Danach sind "anlasslose Kontrollen" nicht generell ausgeschlossen, sondern können auch an der "besonderen Verantwortung der Betroffenen für die Allgemeinheit" anknüpfen. Etwal, "wenn mit ihnen Gefahren bekämpft werden, die sich gerade aus dem Betrieb der Kraftfahrzeuge ergeben". Das Gericht nennt hier zwar nur die Durchsetzung der Versicherungspflicht; das Ausfindigmachen unversicherter Autos ist übrigens Hauptertrag der Kontrollen. Aber eine Gefahr aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen, das könnte auch Feinstaub und Stickoxid sein, produziert von Dieselmotoren, die für die Sperrzone nicht zugelassen sind. Ob dafür eine flächendeckende Kontrolle erlaubt wäre, könnte zwar fraglich sein. Aber Stichproben per Kennzeichenkontrolle dürften wohl auch beim Diesel-Fahrverbot zulässig sein.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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