Engagement:Von wegen gleichgültig

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Lange Zeit galt die junge Generation als politisch desinteressiert und schlecht informiert. Das hat sich inzwischen geändert.

Von Johann Osel

Von Sekunde zu Sekunde wird der Politiklehrer ungeduldiger. Wer die Bundeswehr in Auslandseinsätze schickt, will er wissen. Die Kanzlerin, der Bundespräsident, das Verteidigungsministerium, alle denkbaren Antworten fallen, sogar Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kommt zu neuen Ehren. Irgendwann ruft der Lehrer einen Schüler auf, der sich nicht meldet. Wer denn nun das Mandat zum Beispiel für Afghanistan gibt? Der Junge, Flaumbart und Kapuzenpulli, schaut den Lehrer an und sagt: "Sie?"

Auch wenn eine Schülerin dann doch den Bundestag nennt, auch wenn diese Szene, beobachtet vor Jahren in einer zehnten Klasse im Rheinland, nur ein Ausschnitt ist, sie bestätigt all die Klagen über eine unpolitische und politisch ahnungslose Jugend. Auch die Shell-Jugendstudie, für die Forscher seit 1953 regelmäßig Tausende Jugendliche befragen, hat dies jahrelang dokumentiert. In den Achtzigerjahren war die Mehrheit der Jugendlichen im Zuge der Friedensbewegung politisch interessiert, doch dann sank der Wert. Der Tiefpunkt war 2002, mit 34 Prozent. Nun ruft die Studie eine "Trendwende" aus, das Interesse ist "deutlich gestiegen", auf 46 Prozent. Auch Hauptschüler und ärmere Jugendliche zeigen nun häufiger Interesse.

Die Parteien können von dem Trend nicht profitieren

Bedeutet das politisches Engagement? Wohl kaum. Nur vier Prozent brachten sich in einer Partei oder politischen Gruppe ein, jeder Zehnte bei einer Bürgerinitiative. Schon in früheren Shell-Studien zeigte sich, dass die Generation eher für Projekte zu haben ist. Gut ein Drittel hat aus politischen Gründen gewisse Waren nicht gekauft oder eine Online-Petition unterzeichnet, 23 Prozent waren bei einer Demo.

Dasselbe Muster gilt für Studenten. Das zeigt die Beteiligung an den Wahlen für Studentenparlamente: Oft liegt sie unter zehn Prozent, mancherorts erwägt man deshalb Online-Wahlen oder einen Bierausschank am Wahltag. Als eine Studie im vergangenen Jahr dieses Desinteresse bestätigte, sah sich die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zu einem Appell bemüßigt: Die Studenten müssten "die politische Freiheit in unserem Land nutzen und gerade auch für ihre Belange aktiv werden", sagte sie. Proteste gegen die Studienreform 2009 und 2010 sowie spätere lokale Aktionen belegen den Trend, dass sich junge Leute lieber projektgebunden einmischen.

Laut Shell-Studie hält sich eine Skepsis gegenüber Institutionen, vor allem Parteien. "Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken" - dieser These stimmen zwei von drei Befragten zu. Die labern alle nur, so lautet ungefähr der Tenor. Im Schnitt verortet sich die Jugend leicht links von der Mitte.

Toleranz ist unabhängig davon ein hohes Gut. Zwar hätten 20 Prozent etwas gegen eine türkische Familie in der Nachbarwohnung, doch dieser Wert ist deutlich geringer als noch vor ein paar Jahren; im Osten sind Vorbehalte indes stärker. Unterschiede zwischen alten und neuen Ländern offenbart auch die Flüchtlingsfrage. Doch insgesamt will nur etwa ein Drittel den Zuzug verringern, der Rest plädiert für gleichbleibende oder steigende Zahlen. Eine Mehrheit ist "resistent gegen ausländerfeindliche Stimmung", schreiben die Autoren und nennen den Grund: "Politisches Interesse und politische Kompetenz gehen Hand in Hand."

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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