Eine Erstwählerin berichtet:So war mein erstes Mal

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Anja Coralie Schneidereit hat sich den Bundestagswahlkampf aus Sicht einer Erstwählerin angeschaut. Heute hat sie gewählt. Und alles war anders als gedacht.

Anja Coralie Schneidereit

Nun ist es soweit, der Tag der Entscheidung ist gekommen. Dabei hatte ich mich fast schon daran gewöhnt, täglich etwas Neues über den faden Wahlkampf der Parteien zu hören und von jeder Straßenlaterne aus von unzähligen Wahlplakaten angelächelt zu werden.

Anja Coralie Schneidereit geht wählen. (Foto: Foto: Privat)

Fader Wahlkampf hin oder her, ich hatte über die Wochen meine Entscheidung getroffen. Das glaubte ich jedenfalls.

Ein bisschen aufgeregt vergesse ich fast meinen Wahlbescheid, als ich morgens um neun aus der Tür trete. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich nun auch wirklich alles in der Tasche habe, kann es losgehen.

Ich fahre zusammen mit einer Freundin zum Wahllokal im Rathaus der brandenburgischen Gemeinde Eichwalde, die am Rand von Berlin liegt. Wir hatten gehofft, wenn wir früh da sind, dann ist richtig was los im Wahllokal. Echte Wahlatmosphäre eben.

Doch alles war anders. Gähnende Leere am Fahrradständer vorm Rathaus. Drinnen im Wahllokal trinken die Wahlhelfer noch ein wenig träge ihren morgendlichen Kaffee. Außer uns ist noch keine Menschenseele da. Ich quietsche den Wahlhelfern aufgeregt ein "Guten Morgen" zu, das mit einem verständnisvollen "Aha, eine Erstwählerin"- Lächeln begegnet wird.

Ich gebe die Wahlbenachrichtigung ab, zeige meinen Personalausweis vor und erhalte dafür einen weißen, einen grünen und einem orangen Zettel. Damit gehe ich in die Kabine. Drei Zettel für drei Wahlen. In Brandenburg wählen wir heute die Bürgermeister, den Landtag und den Bundestag.

Viel Auswahl, aber zum Glück weiß ich ja, wen ich wählen will. Glaube ich. Hmm, weiß ich das wirklich? Ich starre auf die Zettel, plötzlich ist da viel Leere in meinem Kopf. Untereinander aufgelistet wie Kleingedrucktes die Namen von Merkel, Westerwelle und Steinmeier. Darüber jeweils fett gedruckt die Kürzel der Parteien. Sie sehen ganz anders aus, als auf den Wahlplakaten. Irgendwie farbloser, fast anonym, weniger spektakulär.

Nebenan kommt meine Freundin aus der Kabine schon wieder heraus. Plötzlich brüllt einer: "Gehen Sie sofort in Ihre Kabine zurück!" Ich höre meine Freundin nur etwas Unverständliches stottern, als es schon aus einer anderen Ecke des Raumes schreit: "Gehen Sie sofort zurück und falten Sie Ihre Wahlzettel!" - "Oh. Äh. Ja."

Dankbar dafür, dass ich nicht die einzige bin, die hier kopflos unterwegs ist, wende ich mich wieder meinen Kreuzen zu. Langsam lese ich mir die Liste noch einmal durch und versuche Ordnung in meinen Kopf zu bekommen. Ich erinnere mich daran, was mir wichtig war bei meiner Wahlentscheidung. Warum ich meine erste Stimme, die überhaupt abgebe, dieser Partei, diesem Bürgermeisterkandidaten geben wollte.

Es klappt, mit wiedergewonnener Zuversicht mach ich endlich meine Kreuze. Ich will keinem erzählen, wo ich sie hingesetzt habe. Ich finde das ist noch zu privat. Das mache ich vielleicht später mal.

Nach vollbrachter Tat trete ich stolz mit penibel gefalteten Wahlzetteln zu den Wahlurnen. Als erstes muss ich den Weißen hineinwerfen. Erste Hürde geschafft. Dann ist der etwas größere Grüne dran. Doch irgendwie erweist sich der Schlitz kleiner als gedacht, der Zettel will trotz drehen und wenden einfach nicht passen.

Mit feuchten Hände bin ich schon kurz davor, radikalere Varianten wie Stopfen anzuwenden, als ein Wahlhelfer einschreitet: "Na, Kindchen, wie wär's denn mal mit noch mal falten?"

Mit roten Köpfen verlassen wir das Rathaus und schauen auf die Uhr: Knapp fünf Minuten hat alles gedauert. Irgendwie sind wir überrascht. Nur fünf Minuten? Monatelanger Wahlkampf für fünf Minuten?! So fühlt sich also Demokratie an.

Wir bleiben noch ein wenig vor dem Rathaus stehen und schauen zu, wie ein paar mehr Leute reingehen und wieder herauskommen. Ich überlege, wen die wohl wählen werden? Wird meine Stimme in der Minderheit versacken oder die triumphierende Mehrheit bilden? Das werde ich wohl erst heute Abend erfahren.

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