Russland:Ein bisschen Supermacht

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Russland ist ein anspruchsvoller Gastgeber, dessen Stolz Amerika nicht verletzten sollte

Sonja Zekri

Es war ein verzweifelter Appell. In einem Brief in der Washington Post warnten vier liberale russische Wissenschaftler Barack Obama vor den fatalen Folgen amerikanischer Realpolitik für die russische Demokratie. Bei aller Dialogbereitschaft und Freude am Wandel dürfe sich der US-Präsident nicht zum Handlanger russischer Großmachtfantasien machen, mahnten die Forscher, darunter Lew Gudkow vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Levada-Zentrum. Sollte Amerika ernsthaft die Aufteilung von Interessensphären erwägen, sollte es eine "Finnlandisierung" der Ukraine hinnehmen, die Unterwerfung eines souveränen Staates unter den Kreml, dann mache sich Washington zum "Papagei" russischer Nationalisten.

Obama, flehten die russischen Demokraten, dürfe die Interessen der Moskauer Führung nicht mit denen des Volkes verwechseln. Die russische Gesellschaft wünsche sich mehr Mitsprache und Rechtsstaatlichkeit. Der Kreml jedoch strebe den Aufstieg in die elitären globalen Zirkel von Politik und Wirtschaft an, aber er wolle die West-Integration zu eigenen Bedingungen und habe seine Demokratiefeindschaft nicht abgelegt.

Es hätte dieses Briefes nicht bedurft, um zu zeigen, dass Obamas Besuch in Russland zu seinen komplizierteren Reisen gehört und dies nicht nur, weil sein Vorgänger George W. Bush das russisch-amerikanische Verhältnis so heruntergewirtschaftet hat, dass es mit dem Georgien-Krieg vor einem Jahr ein historisches Tief erreichte. Obama-Matrjoschkas mögen derzeit zu den beliebtesten Souvenirs in Moskau gehören. Eine der klassischen Holzpuppen mit seinem Gesicht bekam Obama vor seiner Reise nach Moskau von einem russischen Journalisten in Washington. Doch solche spielerischen Gesten täuschen niemanden.

Nicht alle Beobachter sehen die Sache so aussichtslos wie der ehemalige Putin-Berater Andrej Illarionow, der den ganzen Besuch für einen Fehler hält: "Wozu dem Kreml die Gelegenheit geben, den US-Präsidenten zu demütigen?", fragt er. Aber viele Beobachter sind sich einig: Vieles, vielleicht alles, wird davon abhängen, wie Obama das Kunststück fertig bringt, Russland Respekt zu erweisen, ohne sich vorführen zu lassen, amerikanische Interessen durchzusetzen, ohne russischen Stolz zu verletzen - kurz, wie sehr er der ehemaligen Supermacht die Illusion vorgaukelt, sie wäre noch immer eine. Als gäbe es weder China noch Europa beschwor Präsident Dmitrij Medwedjew in seinem jüngsten Videoblog die Verantwortung Russlands und Amerikas vor der Geschichte: Ob Terror, Drogen, Atomraketen - vor allem von Moskau und Washington werde es abhängen, "wie die Welt in den nächsten zehn Jahren aussieht". In Moskau wird sich Obama auf Medwedjew konzentrieren, den gewählten Präsidenten, als könne er Russlands fortschrittliche Kräfte (Medwedjew) gegen die Kalten Krieger (Putin) stärken. In Wahrheit sind sich Premier und Präsident hier einig wie selten.

Denn knapp 20 Jahre nach der Implosion des sowjetischen Imperiums hat Russland seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden. Immer wieder verblüfft Russland mit blutigen (Georgien-Krieg), kostspieligen (Subventionen für Weißrusslands) oder lächerlichen Manövern (Ja zur Welthandelsorganisation WTO, Nein zur WTO). Dies alles, um einen Anspruch aufrecht zu erhalten, der manchen düster an eine "Versailles-Situation" erinnert, an Deutschlands beleidigten Revanchismus nach dem Ersten Weltkrieg. Wenige Russen machen sich ernsthaft Illusionen über die Konkurrenzfähigkeit russischer Waren oder des russischen Militärs mit dem amerikanischen.

Warum also kann sich Russland nicht eingliedern in die Reihe respektierter Ex-Großmächte wie England, Frankreich oder Deutschland? Es gibt nachvollziehbare psychologische Gründe, schließlich lässt sich niemand gern in die zweite Reihe abschieben. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. "Russland wird wieder eine Großmacht sein oder es wird nicht sein", lautet ein programmatischer Putin-Satz aus den frühen Jahren seiner Präsidentschaft. Er verrät ein Verständnis von Politik als imperiales Nullsummen-Spiel: Was gut für den einen ist, muss schlecht für den anderen sein.

In dieser Weltgegend ist Schwäche gefährlich, heißt es oft. Peking könnte in das Vakuum stoßen, das Russland hinterlässt und Zentralasien an sich binden. Der Kaukasus könnte an Amerika fallen. In der Tat haben acht Jahre Bush-Regierung wenig dazu beigetragen, solches Misstrauen zu zerstreuen. Und Europas Russlandpolitik schwankt zwischen romantischer Hoffnung und moralischer Entrüstung, was das russische Befremden noch steigert.

Aber die Simulation alter Größe tröstet auch über vieles hinweg, über den Mangel an Freiheit beispielsweise. Eine Großmacht muss sich gegen Bedrohungen verteidigen, braucht Militär und Sicherheitsdienste, Polizei und Geheimdienste, sagt Dmitrij Oreschkin vom Forschungszentrum Mercator. Wohin mit Millionen Uniformträgern, wenn Russland sich eingestehen würde, dass es ein Land wie jedes andere ist? Die Großmacht als Jobmaschine.

Dabei gründet sich Russlands Supermacht-Anspruch im Grunde nur noch auf die Atomstreitkräfte. Der Kreml hat einen Kompromiss in Abrüstungsfragen mit dem geplanten US-Raketenschild in Osteuropa verknüpft. Gibt Obama in Polen und Tschechien nach, käme man ihm mit einem neuen Abrüstungsvertrag entgegen, so Medwedjew. Doch die Zeit spielt gegen Moskau. Russlands Raketen und U-Boote rosten dahin, für eine Modernisierung fehlt das Geld oder die Produktionskapazitäten. Russlands russische Atompotenzial schrumpft ganz von allein. Und mit ihm im Idealfall eine lähmende Selbsttäuschung.

© SZ vom 06.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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