Angedeuteter Rückzug einer Mission ohne Ende: Das Bundeskabinett hat beschlossen, die Bundeswehr-Truppe in Afghanistan bis Ende 2014 deutlich zu reduzieren. Die Nachrichtenagentur dpa meldet:
Im Februar 2014 sollen am Hindukusch höchstens noch 3300 deutsche Soldaten im Einsatz sein. Derzeit sind es noch mehr als 4600. Zugleich bekräftigte die Ministerrunde das Ziel, bis Ende 2014 alle deutschen Kampftruppen aus Afghanistan abzuziehen. Auch danach werden dort jedoch weiter Bundeswehr-Soldaten stationiert sein.
Das neue Mandat muss erst noch vom Bundestag beschlossen werden, eine breite Mehrheit gilt als sicher. Die weitere Stationierung von Soldaten ist allerdings durchaus umstritten: Die Isaf-Mission endet 2014, doch eine weitere Mission ist bereits in Planung. Matthias Gebauer von Spiegel Online schreibt dazu:
Unter dem etwas holprigen Namen "International Advisory and Assistance Mission" (ITAAM) sollen dann weiterhin Tausende ausländische Soldaten die afghanische Armee unterstützen und ausbilden. Auch wenn es niemand ausspricht, wird diese Truppe immer noch rund 30.000 Mann stark sein; auch die Bundeswehr wird an dem Projekt teilnehmen.
Wie viele Soldaten sich daran beteiligen, ist noch nicht sicher. Klar ist, dass die Bundesregierung den Schwerpunkt auf die finanzielle Unterstützung legen möchte: Ab 2015 sollen pro Jahr 150 Millionen Euro für die afghanischen Sicherheitskräfte und deren Ausbildung bereitgestellt werden.
Originalberichte ins Netz gestellt
In Deutschland ist der Afghanistan-Einsatz unbeliebt. Einer Umfrage aus dem Mai zufolge wollen etwa zwei Drittel der Bundesbürger ein Ende des Kampfeinsatzes vor 2014. Ob die neue Mission auf größere Zustimmung stoßen wird, nur weil es sich nicht mehr um einen Kampf-, sondern um einen Unterstützungseinsatz handelt?
Der aktuelle Fortschrittsbericht zu Afghanistan, den das Kabinett ebenfalls billigte, zieht offenbar durchaus optimistische Schlussfolgerungen. So berichtet die Rheinische Post, der das Dokument vorliegt:
In dem 58 Seiten umfassenden Fortschrittsbericht erkennen die drei Ministerien einen "leicht positiven Trend" in der Sicherheitslage. Erneut habe es im Jahr 2012 weniger sicherheitsrelevante Zwischenfälle gegeben. Allerdings sei die Lage "in vielen Teilen Afghanistans instabil".
Der optimistischen Sichtweise widersprechen allerdings offenbar Originaldokumente, die von der WAZ-Rechercheredaktion ins Netz gestellt wurden: Bei den "Afghanistan-Papieren" handelt es sich um "Unterrichtungen des Parlaments", Dokumente also, die die Bundeswehr regelmäßig dem Verteidigungsausschuss des Bundestags vorlegt. Die Berichte umfassen nicht nur, aber vor allem den Einsatz in Afghanistan und decken den Zeitraum 2005 bis 2012 ab. Eigentlich stehen sie "unter Verschluss", was der niedrigsten der vier Geheimhaltungsstufen entspricht.
Die meisten der geschilderten Vorkommnisse seien zwar alle schon bekannt, meint WAZ-Recherchechef David Schraven - auch eine erste Stichprobe bestätigt das. Es zeige sich aber bei der Auswertung der statistischen Werte eine "insgesamt ansteigende Tendenz" bei Anschlägen - eine Entwicklung, die wenig mit dem zu tun hätte, was führende Politiker zur Lage in Afghanistan verlautbaren ließen.
Debatte über größere Ehrlichkeit
"Die öffentliche Kommunikation hängt weit hinter dem zurück, was wirklich passiert", lautet Schravens Urteil. Dass die Afghanistan-Papiere wegen angeblicher Geheimnisse offiziell unter Verschluss gehalten werden, hält er für "totalen Unfug". Die WAZ-Aktion, bei der auch Nutzer die Dokumente durchforsten können, soll nicht zuletzt eine Debatte über mehr Informationsfreiheit und größere Ehrlichkeit im Umgang mit dem Afghanistan-Einsatz auslösen.
Wie die Zukunft Afghanistans aussehen wird, ist selbst unter Experten umstritten. So schätzt in einem aktuellen Hörfunk-Bericht der ARD Fabricio Foschini vom Afghanistan Analysts Network die Lage folgendermaßen ein:
"Die Sorge, die ich habe, ist nicht ein Bürgerkrieg in Kabul. Die politische Elite kann vermutlich vermeiden, dass sie sich völlig zerstreitet und sich mit Raketen beschießt. Ich habe eher Angst vor zunehmender Gewalt in ländlichen Gegenden, wo dann Kommandeure um Einfluss in einem Gebiet kämpfen. Da könnten schlimme Dinge passieren."
Weiterführendes aus der SZ zum Thema: Zum logistische Aufwand des Bundeswehr-Abzugs und zur deutschen Drohnen-Politik in Afghanistan.