Die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (PID) geht innerhalb und außerhalb der Regierungskoalition weiter - eine Einigung zwischen CDU und FDP im Umgang mit Gentests an Embryos erscheint unwahrscheinlich. So hat jetzt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Haltung ihrer Partei in der Passauer Neuen Presse bekräftigt, die PID "in einem engem Rahmen" zuzulassen.
Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, sprach sich dagegen für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) aus. Sollte es eine Gewissensentscheidung im Bundestag geben, fürchtet er allerdings, "dass das PID-Verbot fällt", erklärte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Auch die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin Julia Klöckner sprach sich gegen die Selektion von künstlich befruchteten Embryonen nach einer Präimplantationsdiagnostik aus. "Wenn wir diese Tür aufmachen, werden wir sie nicht mehr zubekommen. Jemand, der beeinträchtigt ist - weil er mit einer Behinderung geboren wurde oder sie im Laufe des Lebens erwirbt - ist genauso viel wert wie ein Mensch ohne Beeinträchtigung", sagte sie der Leipziger Volkszeitung.
"Meine große Sorge ist, dass die Erlaubnis der PID zu einer TÜV-Gesellschaft führt, die ungeborenen Kindern nur dann die Einpflanzung in die Gebärmutter und damit die Geburt gestattet, wenn sie einen Test bestehen", sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverbraucherschutzministerium.
Zuvor hatte sich bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich gegen die PID ausgesprochen, die FDP schließt ihrem Generalsekretär Christian Lindner zufolge ein striktes Verbot der PID aber aus. Während der Behindertenbeauftragten der Regierung, Hubert Hüppe Merkel beipflichtete, wehrt sich das Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion Peter Hintze dagegen vehement gegen ein Verbot der Gentests. Er plädierte dafür, das Embryonenschutzgesetz und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so bestehen zu lassen.
"Ein Moratorium halte ich für sinnvoll"
Inzwischen mehren sich die Stimmen für ein Moratorium, wie es die Grünen gefordert haben. Auch innerhalb der Unionsfraktion ist eine solche Kompromisslösung im Gespräch. Danach könnte die PID für vorerst weitere zwei Jahre verboten bleiben, bis ein Fortpflanzungsmedizingesetz verabschiedet sei. In den Reihen der SPD wird dieser Vorschlag unterstützt. "Ein Moratorium halte ich für sinnvoll", sagte der forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rene Röspel, dem Berliner Tagesspiegel.
Der Bundesgerichtshof hatte kürzlich das bestehende PID-Verbot aus dem Jahr 1990 für nichtig erklärt. Nach seiner Auslegung verbietet das Embryonenschutzgesetz die genetische Auswahl der Embryonen nicht. Deshalb ist jetzt eine Parlamentsentscheidung notwendig.
"Hier geht es um eine klassische Gewissensfrage", betonte Leutheusser-Schnarrenberger. Wie bei der Organtransplantation, beim Thema Abtreibung oder der Patientenverfügung gehe es auch bei Gentests an Embryonen um schwierige ethische Abwägungen.
Diese sollten nach Meinung etlicher Politiker ohne Koalitions- und Fraktionszwang beraten werden. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Montag erklärt, es werde keine Regierungsvorlage geben, sondern die Entscheidung werde "aus der Mitte des Parlaments heraus getroffen werden". SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, es gehe nicht darum, "schnell über ein Ja oder Nein zur PID zu diskutieren". Der Bundestag sollte sich "in aller Ruhe auch unter Anhörung von Experten aus dem Ethikrat" mit dem Thema auseinandersetzen.
Auch die Grünen plädieren für eine unvoreingenommene Diskussion. "Diese Debatte muss im Parlament offen geführt werden - ohne Fraktionszwang", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Klar sei, dass dringend ein Gesetz dazu her müsse. "Das ist nichts, was man so regeln kann", betonte er. Entweder die Präimplantationsdiagnostik werde beschränkt auf "einzelne Ausnahmefälle bei extrem schweren Krankheiten" oder es werde ein klares Verbot formuliert. Der Ausgang einer offenen Abstimmung im Bundestag gilt als völlig ungewiss.
Die PID ermöglicht es, im Rahmen der künstlichen Befruchtung Kinderwünsche zu erfüllen und zugleich schwerste Gen-Defekte vor der Einpflanzung der Eizelle in die Gebärmutter zu erkennen und diese nicht zu verwenden. FDP-Generalsekretär Lindner hatte erklärt, es wäre "inhuman, einer Frau eine genetisch schwer belastete Eizelle einpflanzen zu müssen". Angela Merkel hatte am Wochenende dagegen festgestellt, sie halte es für unmöglich, eine Abgrenzung zwischen einer schwerwiegenden genetischen Krankheit und einem nicht ganz so schwerwiegenden Defekt zu finden.
"Das Embryonenschutzgesetz scheint inzwischen in Bronze gegossen und man traut sich nicht zu, regelmäßig den Stand der Dinge zu reflektieren", sagt Ethikratmitglied Wolf-Michael Catenhusen. Der unabhängige Sachverständigenrat will daher bis Sommer 2011 eine Empfehlung zur Handhabung der PID vorlegen und diesen dem Bundestag und der Bundesregierung zur Abstimmung geben.
Während Ärzte und Paare auf eine Gesetzeslockerung hoffen, schlagen Kirchen und Behindertensprecher Alarm. Die Untersuchung verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen das Verbot der Benachteiligung von Behinderten. Andere Kritiker warnen vor der Bestellung von "Designer-Babys" wie im Warenladen. Der Vorsitzende der Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, Jan-Steffen Krüssel sieht die PID jedoch als Ausnahmeuntersuchung, bei der es rein um den Ausschluss von schweren Krankheiten sowie Fehl- und Totgeburten gehe. "Die Patienten, die zu uns kommen, haben bereits eine Leidensgeschichte hinter sich." Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass schließlich auch Spätabtreibungen erlaubt sind, wenn eine "medizinische Indikation" vorliegt.
Doch selbst die Frage, welche Krankheiten durch den Test diagnostiziert werden sollen, ist strittig. "Ein festgelegter Katalog wäre problematisch, denn das wäre eine Bewertung von lebenswert bis lebensunwert", sagt Ulrich Hilland vom Verband Reproduktionsmedizinischer Zentren. Ist das Down-Syndrom Grund für eine Auslese? Oder Mukoviszidose?
Auch die Bundesärztekammer schlägt in einem Diskussionsentwurf keine fixe Liste vor, schließt aber erst spät im Leben auftretende Krankheiten wie Chorea Huntington von der Diagnose aus. Der Vizepräsident Frank Ulrich Montgomery erklärte, die PID dürfe allenfalls bei entsprechend schwerwiegenden Indikationen zur Anwendung kommen. Forderungen nach einem Katalog solcher Indikationen sieht Montgomery mit Skepsis.
Anleitungen könnten aus dem Ausland kommen, wo zum Teil schon seit mehr als zehn Jahren die Diagnostik angewandt wird. In Frankreich ist die PID nur zugelassen, wenn eine schwere Krankheit vermieden werden soll, wenn ein Elternteil ein Gen für eine Anomalie hat und das Paar mindestens zwei Jahre zusammenlebt.