Die Ministerin Ulla Schmidt hat sich schuldig gemacht: Nicht deswegen, weil sie ihren Dienstwagen in Spanien benutzt hat, auch nicht deswegen, weil sie sich dort von ihrem Chauffeur hat kutschieren lassen - sondern deswegen, weil sie damit der gängigen Politikerverachtung einen neuen Vorwand geliefert hat.
Die landläufigen Vorurteile gegen "die Politik" brauchen hierzulande keinen großen Anlass, um das bestätigt zu finden, was man schon zu wissen glaubt: Politik sei ein einziger Selbstbedienungsladen, ein einziger Saustall. Es genügt ein kleiner Anlass, um eine große Empörung zu erzeugen. Ulla Schmidt hat diese Empörung fahrlässig bedient.
Sie hat also einen Fehler gemacht, selbst dann, wenn ihre Dienstwagen-Nutzung völlig legal sein sollte. Der Fall Schmidt ist nicht in Ordnung, auch wenn er nach den Dienstwagen-Richtlinien in Ordnung sein sollte. Er ist es deswegen nicht, weil er Gedankenlosigkeit und Abgehobenheit verrät. Das ist nicht strafbar, aber, wie gesagt, politisch schädlich.
Es gibt eine merkwürdige Schizophrenie des demokratischen Souveräns in Deutschland: Er erwartet von der Politik alles - und er misstraut ihrem Personal zutiefst. Die deutsche Grundverachtung gegen Politiker ist auch deswegen gefährlich, weil sie immer wieder billige Argumente dafür findet, genau diese Verachtung zu begründen.
Die öffentliche Erregung über vergleichsweise lächerliche Vortrags- und Buchhonorare, über angeblich private Dienstwagen-Fahrten und über die private Nutzung von Flug-Freimeilen ist hierzulande so groß, wie sie wirklichen Skandalen angemessen wäre - und wie man sie über den Fall Berlusconi in Italien wünschen würde. Die Italiener haben eine frivol-abgeklärte Art, mit der sexuellen Äffäritis ihres Regierungschefs umzugehen; in Deutschland dagegen gibt es eine frivol-scheinheilige Erwartungshaltung an die Politiker, so integer zu sein wie Mutter Teresa. Demokratieschädlich ist beides.
Die Ministerin Ulla Schmidt mag sich auf den Satz berufen, dass ein Minister, dass eine Ministerin immer im Dienst ist. Damit hat sie sogar recht. Ein Minister ist immer im Dienst: Das gehört ja auch zur Erwartungshaltung der Öffentlichkeit; andererseits gehört aber das Wissen um die Hyper-Sensibilitäten dieser Öffentlichkeit zum kleinen Einmaleins der Politik. Es sind viel mehr Politiker über kleine und kleinste Affären gestolpert als über große Skandale.
Derzeit werden nun einmal die Politiker und die Manager mit den Zig-Millionen-Abfindungen auf die gleiche Unwert-Stufe gestellt, obwohl man mit den Abfindungen der Großmanager fünfzig Bundeskanzler bezahlen könnte. Die Skandalisierungsmaschinerie differenziert nicht. Und so werden politische Ungeschicklichkeiten, kleine Sünden, Instinktlosigkeiten, Fehlverhalten, kleine Affären und große Skandale in einen Topf geworfen. Das Gespür für den wirklichen Skandal geht leider darüber verloren.
Die Skandalisierung von Dienstwagen- und ähnlichen Affären gelingt deshalb so gut, weil ein jeder kapiert, worum es geht. Die wahren Skandale sind komplizierter, aber man sieht ihnen halt den Skandal nicht an; ihre Entlarvung erfordert Akribie und Fachkenntnisse - und manchmal auch viel Zeit. Der Zustand und die Kosten des Gesundheitswesens in Deutschland, die immer wieder hinausgeschobene Remedur sind der Skandal, nicht die Reisen der dafür zuständigen Ministerin.
Die Skandalisierung von Petitessen ist also auch ein Fall der Komplexitätsreduktion. Und diese Skandalisierung hat wohl auch Ventilfunktion: Da kann sich das Unbehagen über ansonsten undurchschaubare Politik Luft machen. Wer weiß denn schon, ob der Staat auf die Banken hereingefallen ist, als er sie mit gewaltigen Milliardenbeträgen unterstützt hat?
Ein Leben lang Economy-Holzklasse
Wer weiß schon, ob nicht der neue Lobpreis des starken Staates durch seine Verächter von gestern nur das Faktum verdeckt, dass man diesen starken Staat jetzt braucht, um die Verluste der Banken zu sozialisieren und den Wahlbürgern weiszumachen, dass das zu ihrem Besten geschieht? Angesichts dessen wirkt eine Dienstwagenaffäre wie ein Urlaub von der Intransparenz des sonstigen politischen Geschäfts.
Hans-Jochen Vogel war einst ein Spitzenpolitiker, der akribisch auch auf die kleinste Vorteilsnahme verzichtet hat. Sein Leben lang ist er nie (obwohl jedem Abgeordneten das zusteht) in der Business-Klasse geflogen, sondern immer, wie normale Menschen eben, in der Economy-Holzklasse. Wenn er dann im Flugzeug an seinen Bundestagskollegen vorbei nach hinten ging, wünschte er ihnen jovial und laut einen "guten Flug".
Er genoss das so, wie er es als Münchner Bürgermeister genossen hat, mit der Straßenbahn zum Rathaus zu fahren. Und als er 1981 als Notkandidat für das Bürgermeisteramt nach Berlin gerufen wurde, ignorierte er am Flughafen den Dienstwagen, marschierte an den verblüfften Genossen vorbei mit einem ruppigen "Entschuldigung! Das steht mir noch nicht zu!" und winkte einem Taxi. "Selbstgefälligkeit in der Bescheidenheit" wurde ihm daraufhin in der Presse vorgeworfen. Man sieht: Politiker können es den Leuten kaum recht machen. Aber mehr von dieser Art der Selbstgefälligkeit hätte der deutschen Politik auch nicht geschadet.