Deutschlands und Frankreichs Finanzpolitik:Von Merkozy zu Merkollande

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Wachsen um jeden Preis - sparen um jeden Preis? Mit Hollande im Élysée-Palast müssen sich Frankreich und Deutschland neu aufeinander einstellen und gemeinsame Wege einschlagen. Wie die Nachbarn Europa voranbringen könnten.

Claus Leggewie

Claus Leggewie, 62, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.

Müssen sich annähern, was die europäische Finanzpolitik betrifft: Frankreichs neuer Staatspräsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel. (Foto: dpa)

Wenn die Mitte schrumpft und die Extreme stärker werden, riecht das nach einem Weimar-Szenario, nun für ganz Europa. Auf den ersten Blick verschärft sich zurzeit die alte Rechts-links-Polarisierung: Die Anwälte der kleinen Leute von Marine Le Pen bis Alexis Tsipras machen mobil gegen die Neoliberalen, als Krisengewinnler freuen sich die Islamhasser um Geert Wilders, die wahren Finnen und die Morgenröte-Nazis in Athen.

Auch die alten Rezepte werden hervorgekramt: Wachstum (um jeden Preis) gegen Sparen (auch um jeden Preis), öffentliche Investitionen gegen Haushaltssanierung. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman drischt auf Deutschland ein - es solle endlich etwas fürs Wachstum der Weltwirtschaft tun, die Notenpresse anwerfen und die Schuldenbremse lösen. Linke Oppositionsparteien hören dies gerne. Selbst "den Märkten", die Portugal, Italien, Griechenland und Spanien stranguliert (und dabei kräftig auf Kosten der öffentlichen Hand Kasse gemacht) haben, war aufgefallen, dass zu Tode gesparte Volkswirtschaften keine Arbeitsplätze bereitstellen und die Verbraucher im Süden am Konsum hindern.

Eine Kurskorrektur ist also überfällig. Die Rechnung der Bundesregierung, die allein auf Haushaltskonsolidierung setzt, kann nicht aufgehen. Frankreichs neuer starker Mann, Staatspräsident François Hollande, der an diesem Dienstag seinen Antrittsbesuch bei der Bundeskanzlerin macht und nach den Parlamentswahlen eine Linksregierung bilden wird, hat schon angekündigt, den von "Merkozy" vereinbarten Fiskalpakt nicht mittragen zu wollen.

Ist damit das deutsch-französische Tandem am Ende? Keineswegs. Hollande wird sich mäßigen, die Bundesregierung sich bewegen. Sie wissen, dass die Europäische Union am Ende wäre, wenn Deutschland und Frankreich sich auseinanderdividierten statt zu führen. Und auch die Linke müsste gelernt haben, dass staatliche Investitionen nach dem Gießkannenprinzip verpuffen. Die letzten Konjunkturprogramme nach dem Lehman-Crash, als sinnlose Abwrackprämien ausgeschüttet und von niemandem gebrauchte Lkw-Parkplätze gebaut wurden, waren Strohfeuer. Sie haben keine selbstragende und nachhaltige Entwicklung ausgelöst.

Der Süden ist heute wieder das alte Armenhaus Europas; auch ist die andere Seite des Mittelmeers trotz einer fulminanten Demokratiebewegung wirtschaftlich und sozial keinen Schritt weitergekommen. Die südliche Peripherie gilt als die Bedrohungszone, wie vor 1989 der Ostblock. Nicolas Sarkozy hat als Präsident 2008 die Mittelmeerunion unter französischer Ägide ausgerufen. Das war eine Totgeburt, Merkel wollte nicht die Hebamme eines Alternativprojekts zur Europäischen Union sein. Aber obwohl Sarkozys Mittelmeerpolitik neokoloniale und antigermanische Züge trug - die große Richtung stimmte. Wenn heute eher unspezifisch nach Wachstum gerufen wird, dann ist klar, wo wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung am ehesten nottäte - an der südlichen Peripherie.

François Hollande hat keine geopolitischen und auch sonst keine an Napoleon oder Mitterrand erinnernden Visionen vorgelegt. Die Kräfte in seiner Partei, bei den Neokommunisten und den linksradikalen Splittergruppen, die den Klassenkampf gegen die Reichen ausrufen, haben jenseits der schieren Umverteilung auch kein Zukunftsprojekt für Europa und seine Anrainer.

Doch auch die Bundeskanzlerin der schwarz-gelben Koalition hat für Europa noch keine Vision über ihr Krisenmanagement hinaus und jenseits der Budgetdisziplinierung vorgelegt. In der verzweifelten Schlacht um Düsseldorf hat sie eine fadenscheinige Rhetorik gegen jede Schuldenmacherei entwickelt - das ist zu wenig. Merkel hat aber einen richtigen Einwand gegen die Wachstumspolitiker geltend gemacht: Zur Nachhaltigkeit gehört auch, nicht auf Kosten künftiger Generationen zu leben, wie wir Baby-Boomer es über Jahrzehnte hinweg getan haben. Heute wissen wir, dass das Wachstum seit den 70er-Jahren im Wesentlichen auf Pump und auf Kosten der Umwelt möglich waren. Der neoliberale Unsinn hat das nicht korrigiert, eine neue Linksunion würde es ebenso wenig tun.

Europa findet als Friedensprojekt vor allem bei den Jungen kein starkes Echo mehr. Und vor allem rund ums Mittelmeer tendieren sie nach links- und rechtsaußen. Die europäischen Führungen haben es versäumt, die in den 1990er-Jahren beschlossene Mittelmeerunion mit Leben zu füllen. Der beitrittswilligen Türkei zeigten Deutsche wie Franzosen nach wie vor die kalte Schulter.

Dabei ist die Einbeziehung der südlichen Peripherie in ein Friedens- und Entwicklungsprojekt analog zur Montanunion der 1950er Jahre das Gebot der Stunde. Statt Griechenland, Portugal, Spanien und Italien mit Spardiktaten zu strangulieren, sollte die EU zum Beispiel einen Marshall-Plan zum Aufbau regenerativer Energiequellen in Südeuropa und Nordafrika vorantreiben. Es braucht in diesen Ländern öffentliche und private Investitionen in eine neue und nachhaltige Infrastruktur - statt dass Energie- und Verkehrsinfrastrukturen repariert werden, mit öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen Löcher gebuddelt und dann wieder zugeschüttet werden.

Wachstum darf es also nicht um jeden Preis geben, sondern nur, wenn es die materiellen Grundlagen und die Entwicklungschancen der künftigen Generationen nicht zerstört. Deutschland hat mit der Energiewende einen wichtigen Schritt getan, diesen aber nicht mit seinen Nachbarn abgesprochen. Frankreich mag noch an der Nuklearindustrie hängen - es hat aber im Bereich der intelligenten Mobilität mehr geleistet als der deutsche Exportweltmeister.

Die Welt verbrennt, und wir schauen weg", hat Hollandes Vorvorgänger Jacques Chirac zum Thema Klimawandel schon 2002 gesagt. So lautete auch die Schlagzeile der Tageszeitung Le Monde vor dem ersten Wahldurchgang 2012, als Frankreichs Politik zu diesem Thema buchstäblich stumm blieb. Die politische Ökologie muss zum Maßstab der beiden Regierungen werden. Bundeskanzlerin Merkel hat ihr Engagement zum Klimaschutz und zur Ressourceneffizienz ausdrücklich unterstrichen. Jetzt sollte sie dies, gemeinsam mit François Hollande und weiteren Partnern einer "Koalition der Willigen", zur europäischen Entwicklungsmaxime erheben.

© SZ vom 15.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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