Deutscher Städtetag:Höhere Mathematik

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Auf der Hauptversammlung in Nürnberg ist Angela Merkel zu Gast bei Freunden. Die Kanzlerin verspricht weiteres Geld für die Kommunen - und will sich dafür einsetzen, dass es auch wirklich dort ankommt

Von Joachim Käppner, Nürnberg

Die Wege des Geldes vom Bund zu den Kommunen sind mindestens ebenso verschlungen wie die Skulptur "Tiger and Turtle" in Duisburg. (Foto: Kevin Kurek/AFP)

Angela Merkel ist bekanntlich gelernte Physikerin, und als Naturwissenschaftlerin kann sie auch gut rechnen. Doch was sie nach eigenem Bekunden noch nicht entschlüsselt hat, das ist das Phänomen des verschwindenden Geldes. In ihrer typischen Diktion klang das selbstredend nüchterner: "Man braucht erhebliche mathematische Kenntnisse, um das Geflecht zu verstehen, was von dem Geld, das für die Kommunen bestimmt ist, auf dem Weg durch Länder auch dort ankommt." Auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages wurde die Kanzlerin am Mittwoch für solche Sätze gefeiert wie ein Popstar, und sie legte noch einen drauf. Manchmal, wenn sie Kommunen besuche und dort frage, wozu das Bundesgeld für die Eingliederungshilfen denn hier benutzt wurde, bekomme sie zur Antwort, da sei kaum etwas eingetroffen.

Die Botschaft: Auch wenn das Grundgesetz die Bundesländer und nicht den Bund selbst zum Sachwalter der Kommunen macht, die Kanzlerin wird letztere auch bei der diese Woche anstehenden Neuordnung der Finanzverhältnisse von Bund und Ländern nicht vergessen. Der Bund bekommt mehr Rechte, zahlt aber auch mehr, und Merkel forderte, dass von diesen Zahlungen das Nötige "auch bei den Kommunen ankommt".

Diese Finanzverhältnisse sind von je her so verzwickt, dass man den Mut der Verantwortlichen bewundern musste: Sie hatten dazu aufgerufen, von der Hauptversammlung aus zu twittern. Auf 140 Zeichen den vertikalen und horizontalen Finanzausgleich zu debattieren, setzt schon hohe Kunst voraus. Jedenfalls stellte Merkel zur Überraschung der Delegierten sogar den "Königsteiner Schlüssel" infrage, der nach Bevölkerungszahl und Steueraufkommen festlegt, wie genau die einzelnen Länder an gemeinsamen Aufgaben zu beteiligen sind. Die jetzige Praxis, so erscheine es ihr, "vergrößert die Ungleichheiten im Land sogar". Das Auseinanderdriften reicher und armer Regionen war eines der Hauptthemen der alle zwei Jahren abgehaltenen Hauptversammlung.

Gerhard Schröder sprach hier einst von "reichen Verwandten". Das haben sie ihm nie verziehen

Verglichen mit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder erfreut sich Angela Merkel beim Deutschen Städtetag großer Beliebtheit - dem Sozialdemokraten haben die Vertreter der großen deutschen Städte nie verziehen, dass er einst bei ihrer Hauptversammlung genüsslich erklärte, hier fühle er sich wohl, hier bei "reichen Verwandten". Seine Versuche, auf deren Kosten die Wirtschaft von der Gewerbesteuer zu befreien, lösten einen Kampf um die Gemeindefinanzen aus, den die Städte am Ende seiner Amtszeit gewannen. Mit Merkel können die überparteilichen Kommunalverbände, deren mächtigster und einflussreichster der Städtetag als Vertreter der großen Städte ist, wesentlich besser; so viel besser, dass Präsidentin Eva Lohse (CDU), Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, sogar sagte: "Es hat selten eine Bundesregierung gegeben, die zur Entlastung der Städte so viel getan hat wie die jetzige."

Merkel hatte bei der Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlingen von 2015 an auf eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen gesetzt und mehrmals finanzielle Erleichterungen für diese durchgesetzt, beispielsweise sieben Milliarden Euro für die Integrationskosten. Auch in Nürnberg versicherte sie, ihre Wiederwahl vorausgesetzt, sie werde für diese Aufgabe weiteres Geld bereitstellen: "Das sage ich Ihnen zu", denn: "Integration braucht einen langen Atem."

Laut Eva Lohse werden die Überschüsse aus den Steuereinnahmen die Finanzprobleme der Kommunen nur bedingt lindern: Den 54 Milliarden plus für Bund, Länder und Kommunen bis zum Jahr 2021 steht schon jetzt ein Investitionsstau von 126 Milliarden Euro nur bei den Kommunen gegenüber. Ihre Verschuldung durch Kassenkredite, vergleichbar dem Dispokredit, beträgt bereits gute 50 Milliarden. So viel Geld hat nicht einmal die Kanzlerin mit nach Nürnberg gebracht.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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