Deutsche Enklave in der Schweiz:Allein unter Eidgenossen

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Zwei Telefon-Vorwahlen, zwei Postleitzahlen und zwei Währungen: Das Leben in der deutschen Exklave Büsingen ist kompliziert. Da erscheint es fast verwunderlich, dass dort zur Zeit vier Männer unbedingt Bürgermeister werden wollen. Am Sonntag wird gewählt auf der kleinen deutschen Insel, die nicht von Wasser, sondern von der Schweiz umgeben ist.

Roman Deininger

Man möchte nicht Polizist sein in Büsingen. Nun ist es keineswegs so, dass es dort gröbere Verbrechen gäbe, Büsingen ist ja ein lauschiges Dorf mit 1300 Einwohnern. Aber um als Polizist keine gröberen Fehler zu machen, muss eigentlich immer der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. Juli 1967 griffbereit sein. Darin kann bei einem Notruf nachgeschlagen werden, wer für Drogendelikte zuständig ist (die Schweizer) und wer für Verkehrsunfälle (die Deutschen).

Man muss dann nur aufpassen, dass zum Einsatz nicht unerlaubt viele Beamte mitgenommen werden: Höchstens zehn Schweizer Polizisten dürfen sich gleichzeitig in Büsingen aufhalten; bei den Deutschen sind es drei pro hundert Einwohner. Es empfiehlt sich also, außer dem Staatsvertrag auch einen Taschenrechner mitzuführen.

Das Leben in Büsingen ist auch sonst eine vertrackte Angelegenheit, so sehr, dass es fast verwunderlich erscheint, dass dort zur Zeit vier Männer unbedingt Bürgermeister werden wollen. Am Sonntag wird gewählt in der einzigen Exklave Deutschlands, einer 7,6 Quadratkilometer großen Insel, die nicht von Wasser umgeben ist, sondern von der Schweiz.

Der Status ist die Spätfolge von, nun ja, vertrackten mittelalterlichen Ränkespielen. Büsingen, das auf Wunsch des Zolls ein eigenes Autokennzeichen hat (BÜS), besitzt zwei Postleitzahlen, eine deutsche und eine schweizerische, zwei Vorwahlen, und vor dem Rathaus sogar zwei Telefonzellen. Wer nach Büsingen kommt, fotografiert die Telefonzellen, es gibt kein hübscheres Bild für diesen geplagten Flecken Erde, der weder wirklich Schweiz ist noch richtig Deutschland. Laut Staatsvertrag gehört das Dorf zum eidgenössischen Wirtschaftsraum, politisch jedoch zu Baden-Württemberg, Kreis Konstanz.

Manchmal hat das für die Büsinger Vorteile, etwa wenn die Gastwirte so tun können, als hätten sie nicht mitgekriegt, dass drüben in Baden-Württemberg ein Rauchverbot erlassen wurde. Die Nachteile aber sind heftig: Die Büsinger entrichten die direkten Steuern nach Deutschland - fast doppelt so viel wie ihre Nachbarn in Schweizer Gemeinden. Im Ort müssen sie mit dem starken Franken bezahlen, auch wenn sie Gehalt oder Rente in Euro beziehen. In Büsingen erschüttert die Währungskrise das tägliche Leben. 200 meist junge Einwohner hat das Dorf in den vergangenen zehn Jahren verloren, mit 50,7 Jahren liegt das Durchschnittsalter jetzt höher als im Seniorenparadies Baden-Baden.

Die Büsinger Bürger wollen gern Schweizer sein, dafür haben sie schon mehrmals gestimmt. Doch sie dürfen nicht. Das deutsche Grundgesetz besagt, dass die Bundesrepublik kein Land abgeben darf. Und das Neutralitätsprinzip besagt, dass die Schweiz keines annehmen darf. Daran wird auch der neue Bürgermeister nichts ändern können.

© SZ vom 12.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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