Deutsch-türkische Kolumne "Die Isartürkin":Warum Türken synkopisch klatschen können

Lesezeit: 3 min

Jeder Türke kann mindestens zehn alte türkische Volkslieder auswendig mitsingen. (Foto: imago; Collage Jessy Asmus)

Als Kind sprach unsere Autorin nicht Deutsch, sie sang es. Was der melodische Lärm der türkischen Sprache damit zu tun hat und warum türkische Ü Rudeltiere sind, erklärt die "Isartürkin" in der 13. Folge.

Von Deniz Aykanat

Ich weiß, ich sollte das eigentlich nicht sagen. Sätze wie: "Die Schwarzen, die haben den Rhythmus einfach im Blut" oder "Die Afrikaner können einfach tanzen". (Wer sind noch mal "die Afrikaner"?) Ich sollte das nicht sagen ... weil es einfach ein verdammter Unsinn ist.

Nur ... bei Türken stimmt es eben!

Türken. Sind. Musikalisch. Es ist so.

Während das Publikum im Musikantenstadl gerade mal geriatrisch von einer Seite zur anderen schunkelt, können Türken zu jeder Gelegenheit auswendig mindestens zehn alte türkische Volkslieder schmettern.

Türken können synkopisch mitklatschen! Und sie tun es auch ständig: bam badambam, bam badambam, bam badambam statt teutonisch umtata, umtata, umtata. Türken können in ein noch so kleines Restaurant eingepfercht sein, zu vorgerückter Stunde zieht sicher irgendein Gast wie Inspektor Gadget eine Saz, eine türkische Langhalslaute, unterm Stuhl hervor und die Gäste beginnen, in jeder noch so kleinen Ritze und Ecke im Reihentanz (und ohne auf die eigenen Füße schauen zu müssen) zu tanzen.

Das Temperament muss irgendwie raus. Bei meinem Bruder und mir war das genauso. Wir waren sicher die mit Abstand lautesten Kinder in der Nachbarschaft. Auf die Außenwelt wirkten wir vermutlich wie zwei in bester bayerischer Tradition ungezogene, ich zitiere Gerhard Polt: Hundskrüppel. In Wirklichkeit aber ging nur ein genetisch tief in uns angelegter Schatz an türkischem Liedgut mit uns durch, wenn wir stundenlang übten, wie man einen Fußball synkopisch korrekt gegen das Einfahrtstor ballert, oder den eigenen Stimmumfang mit Hall in der Tiefgarage testeten.

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Von Deniz Aykanat

Warum der melodische Lärm?

Wenn Sie also das nächste Mal eine Horde halbwüchsiger mutmaßlicher Deutschtürken mit laut aufgedrehter Musik plärrend in der U-Bahn erwischen: Die können nicht anders. Oder wissen nicht, wie man sich benimmt.

In ihren Köpfen vollzieht sich womöglich gerade ein langer türkischer Halay-Tanz, der erst wieder endet, wenn sie abends müde ins Bett fallen.

Warum der melodische Lärm? Ich behaupte hier mal dreist, dass das alles an der türkischen Sprache liegen muss.

Achtung, kleiner Exkurs: Das Türkische zeichnet sich vor allem durch die Vokalharmonie aus, die man gleich in jeder ersten Türkischstunde lernt. Die kleine Vokalharmonie besagt, dass nach den Vokalen e, i, ö, ü ein e folgen muss. Nach den Vokalen a, ı, o, u steht immer ein a. Wirklich interessant wird es dann aber bei der großen Vokalharmonie: Auf e und i folgt ein i, auf a und ı immer ein ı und nach o und u kommt immer ein u. Und das Beste: auf ö und ü folgt immer ein ü.

Das klingt jetzt vielleicht etwas verwirrend, aber es erklärt so einiges. Wer sich also schon immer gefragt hat, warum in der türkischen Sprache so auffällig viele Ü vorkommen, dem wird es nun womöglich wie Schuppen von den Augen fallen. Die türkische Sprache strotzt nur so vor Vokalen, deshalb: Wo ein Ü ist, sind meist gleich mehrere. Türkische Ü sind Rudeltiere. Alleine fühlen sie sich unwohl.

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Das türkische Lieblingswort meiner Mutter: Kültür Müdürlüğü

Und was vielleicht bescheuert aussieht und zunächst seltsam klingt, hört sich im Ergebnis eigentlich ziemlich melodisch an. Wie Musik eben.

Zum Beispiel eines der ersten türkischen Wörter, das mein Vater meiner Mutter beibrachte und das seitdem ihr türkisches Lieblingswort ist: Kültür Müdürlüğü. Das bedeutet nichts anderes als Kulturabteilung. Oder auf Isartürkisch dann Kültürabteilung.

Als ich mit meiner Familie zurück nach Deutschland zog, fiel ich bei meinen Erzieherinnen im neuen Kindergarten auf, aber sie konnten nicht sagen, womit eigentlich. Ich sprach ganz normal Deutsch. Aber irgendetwas war anders. Nach ein paar Wochen kamen meine Eltern drauf: Ich sprach Deutsch mit türkischem Singsang. Ich sprach nicht Deutsch, ich sang es.

Es wundert mich übrigens, dass ich mit meinem türkisch gesungenen Deutsch in Bayern überhaupt aufgefallen bin. Denn zumindest das Bairische und Türkische kennen eine große Gemeinsamkeit: eine sehr eigene Form des Genitivs. Will man im Türkischen beispielsweise ausdrücken, dass es um Hansis Mutter geht, schreibt man: Hansi'nin annesi. Wörtlich übersetzt heißt das dann: dem Hansi seine Mutter.

Also wenn das mal nicht Bairisch ist ...

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