Deutsch-russische Beziehungen:Werben und sticheln

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Unter Stalin wurde die Kirche enteignet und jetzt zurückgegeben: Frank-Walter Steinmeier in der Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Nach sieben Jahren ist erstmals wieder ein Bundespräsident in Russland. Frank-Walter Steinmeier will das Verhältnis zu Moskau verbessern, aber keinesfalls unkritisch erscheinen.

Von Constanze von Bullion

Es hätte alles so schön werden können. Jedenfalls wenn Wladimir Putin nicht Wladimir Putin wäre und Frank-Walter Steinmeier ein skeptischerer Zeitgenosse.

Mittwoch in Moskau, draußen rieseln Schneekristalle auf die Stadt, und drinnen im Kreml drückt ein kleiner Herr einem größeren die Hand. Der russische Präsident Wladimir Putin hat Frank-Walter Steinmeier nach Moskau eingeladen. Steinmeier will zugeschüttete Gesprächskanäle zur russischen Regierung wieder etwas freischaufeln. Offizieller Anlass der Reise aber ist die Rückgabe der Kathedrale St. Peter und Paul an die evangelisch-lutherische Kirche in Russland. Nach jahrelangen Verhandlungen hat der Kreml sich bereit erklärt, die 1938 enteignete Kirche zurückzugeben (siehe nebenstehenden Bericht). Eine "schöne Geste", sagt Steinmeier bei seinem Arbeitsbesuch. Vor allem aber eine nützliche. Denn die Sache mit der Kirche bietet Steinmeier die Chance, nach Moskau zu reisen - und Putin die Möglichkeit, Russlands weitgehende Isolation für einen Abend zu durchbrechen.

Wandel durch Annäherung, das alte Credo der Entspannungspolitik, ist das inoffizielle Motto von Steinmeiers Moskau-Reise. Trotz Völkerrechtsbruch auf der Krim, trotz Kämpfen in der Ost-Ukraine, trotz Nichteinhaltung des Minsker Abkommens und Angriffen russischer Kampfjets auf syrische Städte - Steinmeier hat schon als Außenminister dafür plädiert, den Gesprächsfaden nach Moskau nicht abreißen zu lassen. Der Kanzlerin hat das nicht immer gefallen. Seitdem Steinmeier 2016 die Nato-Manöver an Russlands Grenze als "Säbelrasseln" missbilligt hatte, gilt er Kritikern als heimlicher Herzens-Moskowiter.

Unter Joachim Gauck wären solche Szenen undenkbar gewesen

Auch als Bundespräsident gedenkt Steinmeier nicht, von seiner Linie abzurücken. "Ich bin jedenfalls und bleibe der Überzeugung, dass wir der in den letzten Jahren gewachsenen Entfremdung etwas entgegensetzen müssen", sagt er vor dem Gespräch mit Putin. Er sei gekommen, um "auszuleuchten, wie wir die Beziehungen, mit denen wir beide unzufrieden sind, in Zukunft besser gestalten können". Der Bundespräsident "kennt sich sehr gut mit den bilateralen Beziehungen aus", lobt Putin, bevor er von Steinmeier die "besten Grüße der Kanzlerin" entgegennimmt.

So lieb hatte man sich lange nicht mehr in Moskau und Berlin. Doch als Steinmeier drei Stunden später wieder vor die Presse tritt mit Putin, wirkt er recht unbegeistert. Von der Ukraine oder Syrien ist kaum die Rede, dafür öffnet Putin ein Werbefenster in eigener Sache. "Wir haben festgestellt, dass den bekannten Schwierigkeiten zum Trotz das deutsch-russische Verhältnis nicht auf der Stelle tritt", sagt er. Dann listet der Gastgeber munter auf, wie fleißig deutsche Firmen in Russland Geschäfte machen. So nach dem Motto: Russland-Sanktionen? Könnt ihr vergessen.

Allein die Direktinvestitionen aus Deutschland seien auf 212 Millionen US-Dollar gestiegen, lobt der russische Präsident. Deutsche Unternehmen seien "nach wie vor bereit, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen". Steinmeier mahlt jetzt mit dem Kiefer. Firmen siedelten sich an, so Putin, auch humanitär sei alles auf gutem Weg. "Auf Bitten" des Bundespräsidenten sei heute eine Kirche rückerstattet worden. Steinmeier bedankt sich für die "würdevolle Zeremonie". Es gebe "noch offene Wunden", die von der Annexion der Krim herrührten, sagt er. "Von normalen politischen Beziehungen sind wir noch weit entfernt." Aber man bemühe sich.

Steinmeier ärgert sich, das ist ihm anzusehen. Hinterher heißt es aus Teilnehmerkreisen, im Gespräch mit Putin sei es kaum um Wirtschaft gegangen. Putin hat Steinmeier mit seinem Pressestatement wohl schlicht überrumpelt. Dabei wollte Steinmeier sich doch gerade nicht nachsagen lassen, in Moskau Probleme unter den Teppich zu kehren. Am Mittwochmittag schon hat er deshalb die Menschenrechtsorganisation Memorial in Moskau besucht. Oppositionelle und zivilgesellschaftliche Aktivisten haben hier 30 000 Dokumente über Opfer der Stalin-Zeit zusammengetragen. Aber es geht hier nicht nur ums Gestern. Engagierte aller Generationen unterstützen hier auch Künstler, Lehrer und Unangepasste, die in Russland politisch unter Druck geraten.

Steinmeier war schon früher hier, er lässt sich durchs Archiv des Hauses führen, dann setzt er sich zum Gespräch an einen großen Tisch. "Sie kommen in einer schwierigen Zeit", sagt die Direktorin der Stiftung, Elena Schemkowa. Dann erzählt sie dem Gast, wie ihre Mitstreiter um Gedenkstätten für Opfer des Stalinismus kämpfen, Gedenktafeln für Ermordete an Häuserfassaden anbringen oder in Schulen um ein Geschichtsbild ohne Heroisierung und Nationalismus ringen. Es geht voran, wenn auch langsam, sagt Schemkowa, "das schwierigste Erbe ist die Angst". Aber auch die Regierung beginne sich zu bewegen. Ein staatliches Gulag-Museum wurde eröffnet, immerhin, demnächst soll eine staatliche Gedenkstätte für Stalin-Opfer folgen.

Es gibt politische Morde und es wurde gar nicht ermittelt, sagt ein Menschenrechtler

Steinmeier hört sich das alles eine Weile an, und immer wieder bohrt er nach. Ob die Lage sich für Nichtregierungsorganisationen und kritische Geister nicht eher verschlechtert habe, will er zum Beispiel wissen. Da meldet sich ein älterer Herr zu Wort. "Es gibt Gewalt gegen zivilgesellschaftliche Akteure", sagt er. "Es gibt politische Morde. Die Auftraggeber und Hintermänner wurden nicht gefunden. Es wurde gar nicht ermittelt." Auch das Schicksal des Regisseurs Kirill Serebrennikow kommt zur Sprache, der an deutschen Opernhäusern und Theatern Stücke inszenierte, bevor er in Russland unter Hausarrest gestellt wurde.

Eine Stunde später an diesem Mittwoch kommt es in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau zu einer weiteren Begegnung, es ist eine zwischen den Generationen. Ein sehr alter, gebeugter Herr wird da hereingeführt, Michail Gorbatschow ist jetzt 86 Jahre alt, er geht am Stock und war schon mal gesünder, aber das Treffen mit dem deutschen Staatsoberhaupt lässt er sich nicht nehmen. "Er hat mir mit auf den Weg gegeben: reden - auch über das, was schwierig ist", wird Steinmeier danach sagen. Es klingt, als verstehe er das als Vermächtnis.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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