Der Star des linken Lateinamerika:Hugo Chávez, der Polarisierer

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In Venezuela feiern sie ihren umtriebigen Präsidenten. Im Rest Südamerikas gingen die Menschen auf die Straße - um gegen Chávez zu demonstrieren.

C. Jiménez

Da steht er wieder. Auf dem Balkon des Palacio de Miraflores, des Präsidentenpalastes in Caracas, neben seiner Mutter, die lacht. Hinter ihm seine engsten Vertrauten. Er hält ein Mikrofon in der Hand, und seine Stimme - jene Stimme, die Lateinamerika bereits seit einem Jahrzehnt erschüttert - ist heute lauter denn je. Nach einer elftägigen Auslandsreise ist der Oberst, der Coronel, vergangenen Freitag nach Hause zurückgekehrt. Tausende jubeln, wenn er spricht. Und heute brüllt Hugo Chávez: "Ich habe es geschafft, die Stimme Venezuelas in der ganzen Welt erschallen zu lassen!"

Hugo Chávez erließ zahlreiche Sondervollmachten, um seine Macht in Venezuela zu sichern. (Foto: Foto: Reuters)

Während in Caracas die Massen die Rückkehr des Präsidenten feiern, wütet in anderen Städten Lateinamerikas die Empörung. Auch dort sind die Menschen auf die Straßen und Plätze geströmt. Allerdings, um gegen Chávez zu demonstrieren: "¡No más Chávez!" - "Kein Chávez mehr!"

Wie am 4. September: Mit weißen T-Shirts, Fahnen und Plakaten zogen Zehntausende Kolumbianer durch die Großstädte und protestierten gegen die vermeintliche "Interventionspolitik" des sozialistischen Nachbarn. Zu den marchas, wie diese Massendemos in Lateinamerika genannt werden, hatte eine Facebook-Gruppe aufgerufen. Chávez, der sich am Protesttag in Syrien befand, bezichtigte die Organisatoren von solch "bedeutungslosen" und "stumpfsinnigen" Demonstrationen der Verschwörung mit der CIA.

Knapp zwei Wochen später trifft sich am heutigen Freitag die Interamerikanische Pressevereinigung zu einem Forum über die Pressefreiheit - ausgerechnet in Caracas. Chavez' Anhänger im Parlament wittern eine Destabilisierungskampagne, "eine Aggression gegen das Volk".

Chavez und die "Union der freien Republiken"

Doch was hat der US-Geheimdienst in dem südamerikanischen Land zu suchen? Venezuela ist zweifellos zur zumindest lautstärksten Macht Lateinamerikas geworden. Die USA, die bis vor einigen Jahren über die Region walteten, haben an Einfluss verloren - und befürchten, dass der Subkontinent aus ihrer Kontrolle geraten könnte. Niemand ist für diese Wende mehr verantwortlich als Hugo Chávez.

Der großmäulige und redegewaltige Sprössling und Landsmann des südamerikanischen Unabgängigkeitshelden Simón Bolívar hat das ehemals politisch kleine Venezuela auf die Bühne der Weltpolitik gebracht. Unvorstellbar, dass man vor Chávez' Amtsantritt am 2. Februar 1999 den Namen eines lateinamerikanischen Staatsoberhauptes weltweit so unmittelbar mit dem Stichwort Rebellion verknüpft hätte. Undenkbar auch, dass eine Auslandsreise eines venezolanischen Präsidenten so viele Schlagzeilen provoziert hätte wie Chávez' jüngste Tour.

In Libyen, Algerien und Syrien baute Chávez vergangene Woche allerlei Beziehungen aus und posierte für Pressefotos mit weltbekannten "Schurken". In Iran sicherte er seinem "guten Freund Mahmud" Ahmadinedschad Petroleumlieferungen in großen Mengen zu. Am Lido in Venedig flanierte er neben Oliver Stone bei der Premiere des Dokumentarfilms über den Linksrutsch in Lateinamerika ("South of the Border") über den roten Teppich. Mächtigen Unternehmern und Spitzenpolitikern schüttelte er in Spanien die Hände. Dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko stattete er einen Besuch ab und schlug ihm vor, gemeinsam "eine Union der freien Republiken" entstehen zu lassen. Und zu guter Letzt traf er sich mit Dmitrij Medwedjew und Wladimir Putin, unterzeichnete einen Vertrag über die Zusammenarbeit bei der Öl- und Gasförderung und erweitete das venezolanische Waffenarsenal um 92 Panzer und ein Raketensystem.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Hugo Chávez verschiedene Sondervollmachten erlässt.

Eine Reise durch die Schurkenstaaten, ein Promitreff mit andersdenkenden Hollywood-Stars, eine gewaltige Waffenbestellung in Moskau. Damit reagiert der Venezolaner, so will er es glauben lassen, auf den Plan der USA, ihre Militärpräsenz im benachbarten Kolumbien zu erhöhen. Mit Hilfe von sieben amerikanischen Luftstützpunkten im eigenen Territorium will der rechtskonservative Präsident Kolumbiens, Álvaro Uribe, gegen Drogenanbau und -handel sowie gegen marxistische Guerillas vorgehen.

Chávez aber fürchtet ganz andere Folgen - und betreibt mit seinen Anschaffungen erst mal Prävention: "Dank des neuen Raketensystems wird es sehr schwer für ausländische Flugzeuge uns zu bombardieren." Waffen zu kaufen sei Selbstverteidigung, erklärt der Präsident. Venezuela drohe ein Angriff des "US-amerikanischen Imperiums" - sowohl wegen der vermeintlichen Gefahren von Chávez' "bolivarischer Revolution" als auch wegen der gewaltigen Ölreserven seines Landes.

Präsident oder Diktator?

Gerade in puncto Ölreichtum konnte der Petrokrat aus Caracas während seiner Reise einen Erfolg verbuchen. Als Chávez Madrid besichtigte, erfuhren er und die Welt, dass der argentinisch-spanische Konzern Repsol gigantische Ölreserven im Gewässer des Golfs von Venezuela entdeckt hatte: 1,2 Milliarden Barrel befänden sich in einem 33 Quadratkilometer großen Areal namens Pozo Perla I.

"¡Viva Venezuela! ¡Viva Cuba!", schrie eine Menschenmenge, die auch auf der Gran Vía in Madrid auf den Präsidenten wartete. Chávez kletterte unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in einen Dienstwagen, und mit dem Coronel am Steuer fuhr das Auto los. Doch buhten ihm auch dort Dutzende Menschen auf offener Straße hinterher: "Halunke!" "Diktator!"

Der Star des linken Lateinamerika - ein Diktator? Schon seit seinem ersten Tag an der Macht hat Hugo Chávez gezeigt, dass jene "Befreiung Lateinamerikas aus den Klauen des Imperiums" bei ihm höchste Priorität hat - gleichgültig, wie viele Deutungen ein solches Vorhaben zulässt; und egal auf welche Mittel man notfalls zurückgreifen müsse. Bereits 1999 ließ er sich vom Parlament Sondervollmachten vor allem im Bereich der Wirtschaft einräumen - zunächst, um den verschuldeten Staatshaushalt zu sanieren und die Armut zu bekämpfen.

Doch allmählich verwandelte sich die Machtakkumulation der Exekutive zum staatspolitischen Prinzip unter Chávez: Die Armee, die Staatsverwaltung, das Parlament und die Justiz unterliegen heute dem Wort des Präsidenten, die Opposition wird politisch verfolgt, die freie Presse verstummt nach und nach.

So häuft sich der Vorwurf der Willkür und der Tyrannei. Und zwar mit solcher Intensität, dass viele empört ablehnen, Venezuela noch als eine Demokratie zu bezeichnen. Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes hält Chávez bereits seit Jahren für den "neuen lateinamerikanischen Clown".

Weniger zugespitzt verurteilte Human Rights Watch die "politische Intoleranz" und die "Medienzensur" des Regimes in ihrem Jahresbericht 2008, woraufhin der venezolanische Präsident die Organisation kurzerhand wegen "Verfassungswidrigkeit" des Landes verwies.

Es versteht sich von selbst, dass nicht nur Lobworte den Präsidenten erreichen, wenn er sich auf seinem Balkon platziert und von der Zukunft eines unabhängigen Lateinamerika schwärmt. Aller Gefahren zum Trotz trauen sich auch heute noch Regierungskritiker auf die Straße, um dem populistischen Machtmann des Unrechts zu beschuldigen.

Die Animositäten sind auch im Ausland reichlich vorhanden. Und nicht nur die diplomatischen Fehltritte, der kriegerische Hochmut und die verbitterte Rüge zahlreicher Repräsentanten der rechtskonservativen Tradition Lateinamerikas schüren die Missstimmung. Chávez leistet auch seinen eigenen Beitrag: Kolumbianer seien "Verräter" und sollten sich der "bolivarischen Doktrin" anschließen, donnerte Chávez Ende August in seiner Sonntagssendung "Aló, Presidente" und rief im Nachbarland allgemeine Entrüstung und massive Proteste hervor.

Wenig halfen da Chávez' Mahnungen, die er aus Syrien verlautbaren ließ: "Geht und demonstriert gegen Chávez, aber das tut ihr nicht gegen Chávez, sondern gegen unsere Völker." Tausende Kritiker - selbst unter seinen Landsleuten - zogen in Caracas, Buenos Aires, Santiago de Chile, Bogotá, Madrid und einige sogar in Berlin auf die Straße: "Wir haben die Nase voll!"

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