Demjanjuk-Prozess in München:Der Anwalt spielt auf Zeit

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Das Verbrechen sei verjährt, sein Mandant aus den USA "zwangsdeportiert": Im Prozess gegen John Demjanjuk hat der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens gefordert.

Im Mord-Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann John Demjanjuk spielt die Verteidigung weiter auf Zeit. Rechtsanwalt Ulrich Busch beantragte am Dienstag am Landgericht München die Einstellung des vermutlich letzten großen Prozesses um Nazi-Verbrechen.

Der alte Mann vor Gericht: John Demjanjuk wird auf einer Trage in den Gerichtssaal gebracht. (Foto: Foto: AP)

Das Gericht könne nicht zuständig sein, weil der gebürtige Ukrainer Demjanjuk, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet und laut Anklage im Vernichtungslager Sobibor Tausende Juden in die Gaskammern trieb, kein deutscher Amtsträger gewesen sei. Zudem seien die Taten, die ihm zur Last gelegt würden, seit 1963 verjährt.

Auch habe Demjanjuk bereits in Israel vor Gericht gestanden und sei dort, nachdem er zunächst zum Tode verurteilt worden war, vom höchsten Gericht freigesprochen worden. Er dürfe nicht zweimal wegen des gleichen Falles angeklagt werden, so Busch.

In Israel wurde er zunächst für "Iwan den Schrecklichen" gehalten, einen im Vernichtungslager Treblinka für seine sadistischen Taten berüchtigten Aufseher. Busch forderte Gutachten, ob das Landgericht München II zuständig sei und ob es zulässig sei, Demjanjuk erneut anzuklagen.

Sein Mandant sei trotz einer tödlichen Erkrankung zwangsweise nach Deutschland gebracht worden, sagte Verteidiger Busch weiter. Mit dieser "Zwangsdeportation aus den USA" habe sich die deutsche Justiz auf illegale Weise des Angeklagten bemächtigt.

Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz verlas am Dienstag die Anklageschrift. Demjanjuk wird demnach Beihilfe zum Mord an 27.900 Menschen überwiegend jüdischen Glaubens in Sobibor im heutigen Polen zur Last gelegt. Konkret geht es um 15 Fälle mit 9300 Todesopfern.

Befangenheitsanträge sind noch offen

Laut Anklage diente der mittlerweile staatenlose Demjanjuk, der nach dem Weltkrieg lange unbehelligt in den USA lebte und auch die US-Staatsbürgerschaft hatte, 1943 der SS als Wachmann in Sobibor. Dort wurden mindestens 250.000 Personen getötet.

Der 89-Jährige bestreitet die Vorwürfe und will sich nicht schuldig bekennen. Zum Prozessauftakt am Montag hatte ihn sein Verteidiger Busch bereits selbst als Opfer der Nazis dargestellt. Er habe Befehle der SS ausführen müssen, um zu überleben. Ranghohe Nationalsozialisten - darunter Vorgesetzte Demjanjuks - seien von der deutschen Justiz in anderen Verfahren freigesprochen oder gar nicht erst angeklagt worden.

Richter Ralph Alt stellte die Entscheidung über die Anträge der Verteidigung zunächst zurück. Offen sind auch noch Befangenheitsanträge gegen Richter und Staatsanwälte. Demjanjuk wurde erneut auf einer Trage in den Gerichtssaal gebracht.

Er wirkte unruhig und musste ärztlich untersucht werden. Nebenkläger, darunter Überlebende von Sobibor, glauben, dass er das Gericht über seinen Gesundheitszustand täuscht. Sie fordern, dass er die Wahrheit sagt. Demjanjuk droht in Deutschland eine lebenslange Haftstrafe. Für den Prozess sind 35 Verhandlungstage bis Mai 2010 angesetzt.

© sueddeutsche.de/dpa/AP/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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