Debatte um Abschiebehaft:Tragischer Tod eines jungen Georgiers

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Der Selbstmord von David M. in Hamburger Abschiebehaft entfacht die Debatte über die Behandlung von Asylbewerbern.

Jens Schneider

Die Insel Hahnöfersand liegt vor den Toren Hamburgs in der Elbe, dort ist die Jugendhaftanstalt der Stadt. Es ist Anfang Februar, als der junge Georgier David M. nach Hahnöfersand zugeführt wird, wie es nach seinem Tod in der Pressemitteilung des Hamburger Senats heißen wird. David M. hat niemanden bestohlen oder eine andere Straftat begangen. Er hat sich selbst bei der Polizei gemeldet und gesagt, er wolle Asyl. Er hat gesagt, er sei 17. Er hatte keinen Pass, kein Geld und keinen Wohnsitz in der Stadt. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung stellt sich in einem europäischen Datenabgleich heraus, dass er bereits in Polen und in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hat.

Dort hat er angegeben, dass er 25 Jahre alt sei. So steht es im Computer und so hat es am Mittwoch auch ein Mitarbeiter der georgischen Botschaft in Berlin bestätigt. Er sei am 17. November 1984 geboren worden, sagte der Mitarbeiter. Weil der Junge damit in einem sogenannten sicheren Drittland schon einmal Asyl beantragt hat, setzt ein Automatismus ein: Er muss umgehend dorthin zurück. Eine Einzelfallprüfung für seinen Asylantrag ist nicht mehr vorgesehen. Und weil die Ausländerbehörde annimmt, dass er sich entziehen wird, beantragt sie die sogenannte Zurückschiebungshaft. Vor dem Haftrichter sagt David M. dann kein Wort. In Hahnöfersand beginnt er nach elf Tagen einen Hungerstreik. Er trinkt, aber isst nicht. Zur Beobachtung kommt er in das Zentralkrankenhaus für Häftlinge in der Hamburger Innenstadt. Am Samstag vergangener Woche haben die Betreuer den Eindruck, dass er psychisch wieder stabil ist. Er isst wieder. Sonntagnachmittag wird er tot aufgefunden. Er hat sich mit einem Bettlaken erhängt.

"Dies ist ein tragischer Fall", erklärt die vom Grünen Till Steffen geführte Justizbehörde; und es ist der Sprecherin anzuhören, dass der Tod des jungen Mannes, der offenbar nicht wusste, dass er an diesem Dienstag nach Polen geflogen werden sollte, sie nicht kalt lässt. Von einem tragischen Fall spricht man wohl, weil im Rahmen des Systems alles in den rechten Bahnen gelaufen sein soll. David M. wurde, so haben Nachforschungen ergeben, intensiv betreut. Als er nicht essen wollte, gab es viele längere Gespräche schon auf Hahnöfersand. Die Zahl der Gespräche wurde protokolliert. Es gab drei mit einem Psychologen, drei mit einem Arzt, weitere mit einem Krankenpfleger, dem Ausländerberater und einem Jugendpsychologen. Er hatte engen Kontakt zum Strafvollzugsleiter. Im Krankenhaus sprach die Ausländerberaterin in der Muttersprache mit ihm. Er sei für die Gespräche offen gewesen. Sein Zimmer wurde per Videokamera überwacht, freilich nicht ständig: Man sah keine Anzeichen für eine Suizidgefahr. "Man hat sich auf keinen Fall ausreichend gekümmert", empört sich dagegen Hermann Hardt vom Hamburger Flüchtlingsrat. Es sei zu spät eingegriffen und die Gefahr des Suizids offenbar übersehen worden. Oft werde unterschätzt, wie dramatisch Menschen in Abschiebungshaft ihre Lage empfinden, sagt die innenpolitische Expertin der Hamburger Grünen, Antje Möller. Sie sind in Haft, obwohl sie nichts getan haben. Sie wissen nicht, was kommen wird. Und selbst wenn alle vorgeschriebenen Abläufe eingehalten werden: Der Fehler liegt auch im System. Schon lange fordern Kritiker, dass jugendliche Flüchtlinge nicht in Abschiebehaft gesteckt werden. Sie gehörten in die Obhut des Jugendamtes. Sie bräuchten Zuspruch - und keine Haft.

Nach dem Tod von David M. hat CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus jetzt die Praxis ändern lassen. Eine Überprüfung habe zwar ergeben, dass es "keinerlei Fehlverhalten der Ausländerbehörde gegeben" habe. "Gleichwohl haben wir uns für die Zukunft darauf verständigt, bei minderjährigen Ausreisepflichtigen keinen Antrag auf Abschiebehaft beim Amtsgericht mehr zu stellen. Es sei denn, die Jugendlichen sind straffällig geworden." Derzeit befänden sich zwei Jugendliche in "Zurückschiebungshaft", sie werden dort allerdings auch bleiben: Einer sei straffällig geworden, der andere werde volljährig. Der Hamburger Flüchtlingsrat nennt die Reaktion von Ahlhaus "einen Hohn". Er beklagt, dass in der täglichen Praxis viele jugendliche Flüchtlinge "für erwachsen erklärt werden": Die Ausländerbehörde würde bei vielen das jugendliche Alter anzweifeln, sodass sie leichter abgeschoben werden könnten.

In der schwarz-grünen Koalition drängen die Grünen seit langem darauf, dass Minderjährige gar nicht abgeschoben werden. Es solle immer eine Einzelfallprüfung geben, es dürfe nicht nach einem automatisierten Verfahren gehen wie im Fall David M, sagt die grüne Innenpolitikerin Antje Möller. Sie erwartet, dass die beteiligten Behörden den Fall David M. detailliert aufarbeiten. "Wir müssen daraus lernen", sagt sie.

© SZ vom 11. März 2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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