Debatte über US-Intervention in Syrien:Obama, der scheue Weltpolizist

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Präsident Obama (Foto: AFP)

Hat Syriens Machthaber Baschar al-Assad tatsächlich Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk eingesetzt? Das wäre ein Tabubruch, der eigentlich Amerika und die Weltgemeinschaft auf den Plan rufen sollte. Doch US-Präsident Obama hat in Syrien nichts zu gewinnen - und wird deshalb wohl stillhalten.

Von Johannes Kuhn

Nun wird etwas passieren. Kaum ein Satz dürfte in den Ohren der Bewohner Syriens inzwischen zynischer klingen. Kaum eine Schlussfolgerung ist mit größerer Vorsicht zu genießen, zumindest, wenn sie sich auf ein mögliches Eingreifen der Weltgemeinschaft im dortigen Bürgerkrieg bezieht.

Gesagt hat diesen Satz niemand, doch er liegt in der Luft, seitdem am Donnerstag die US-Regierung erstmals offiziell von einem möglichen Chemiewaffeneinsatz des Regimes von Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg berichtete. Es könne mit "unterschiedlichen Graden der Sicherheit" gesagt werden, dass das Nervengift Sarin "in einem kleinen Maßstab" zur Verwendung gekommen sei, heißt es in einem Brief des Weißen Hauses an den Kongress in Washington.

Damit ist auf den ersten Blick Obamas "rote Linie" überschritten: Seit August 2012 warnte die US-Regierung zu sechs unterschiedlichen Gelegenheiten, dass der Einsatz von Chemiewaffen ein "großer Fehler sei", den man "nicht tolerieren" und für den man die Täter "zur Rechenschaft ziehen" werde.

Der zweite Blick offenbart allerdings, dass diese rote Linie nicht genau definiert ist und - wie bereits gespottet wird - eher einem "roten Gummiband" gleicht: Nie war von "jeglichem" Einsatz die Rede, wie Max Fisher von der Washington Post analysiert, vielmehr sprach Obama einmal sogar von "a whole bunch", also einem "ganzen Bündel" an Chemiewaffen, die eine amerikanische Reaktion hervorrufen würden. Wenn nun also von einem "kleinen Maßstab" die Rede ist, zeigt dies, dass das Weiße Haus sich noch etwas Spielraum gibt.

Es ist nicht die einzige Einschränkung: Die Analyse der US-Geheimdienste, auf die sich die Regierung beruft, reichten noch nicht als Beweis aus, heißt es - Obama geht auf Nummer sicher, nachdem falsche Geheimdienst-Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen 2003 den Irak-Krieg eingeleitet hatten. Zudem nehme man zwar an, könne aber nicht mit äußerster Sicherheit sagen, dass das Assad-Regime hinter dem Einsatz stecke. Von diesem ist bekannt, dass es ein größeres Arsenal an chemischen Kampfstoffen besitzt.

Zu kriegsmüde für einen unübersichtlichen Konflikt

Die Geheimdienste berufen sich bei ihrer Analyse offenbar auf die Auswertung von Blutproben getöteter Syrer in Aleppo, in denen Rückstände von Sarin gefunden worden sein sollen. Die Vereinten Nationen haben die Assad-Regierung bereits aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung zuzulassen.

Das ist auch der Weg, den die USA gehen wollen, auch wenn sich bereits die Debatte über die Einreise von UN-Vertretern über Wochen, wenn nicht gar Monate hinziehen dürfte. Denn obwohl im UN-Sicherheitsrat China und vor allem Russland sämtliche Resolutionen zu Syrien entschärfen oder blockieren, bleibt Obama derzeit keine andere Möglichkeit als der Multilateralismus. Amerika ist kriegsmüde, der syrische Konflikt zu unübersichtlich für den abenteuerscheu gewordenen Weltpolizisten.

Die syrische Armee soll bis zu 300 mobiler Flugabwehrraketen und mehr als 600 Raketenabschussrampen besitzen: Die Durchsetzung einer Flugverbotszone wie im Falle Libyens wäre deshalb mit massivem militärischen Aufwand verbunden - jenseits von der Unmöglichkeit, für diese wie vor dem Sturz Gaddafis ein UN-Mandat zu erhalten. Eine Eskalation könnte zudem Nachbarländer wie den Libanon und Israel mit in den Konflikt ziehen und würde bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen in Iran den Hardlinern in die Karten spielen.

Auch die Bewaffnung der Rebellen ist problematisch: Gerade, als sich vor wenigen Wochen mit Frankreich und Großbritannien zwei wichtige westliche Nationen für Waffenlieferungen an die syrische Opposition starkgemacht hatten, verbündete sich die wichtigste Rebellengruppe Jabhat al-Nusra mit al-Qaida.

"Alle Optionen sind schlecht"

Die Obama-Regierung versorgt die Assad-Gegner zwar mit "nicht tödlicher Militärausrüstung", also Schutzwesten und gepanzerten Fahrzeugen, und gibt ihnen unbestätigten Berichten zufolge in Jordanien Ausbildungshilfe. Vor der Ausstattung mit Waffen schreckt das Weiße Haus aber offiziell zurück, obwohl zahlreiche Stimmen in Pentagon, CIA und Außenministerium dies offenbar befürworten.

Doch je mächtiger die Islamisten aus dem Norden innerhalb der Opposition werden, desto schwieriger wird es, die säkularen Kämpfer isoliert zu unterstützen. "Die Optionen sind alle schlecht", analysierte Aram Nerguizian vom Think-Tank Center for Strategic & International Studies und ergänzt: "Eine Bewaffnung ändert auch nichts an den Chemiewaffen oder deren Verbreitung."

Dennoch erhöhen interventionsfreundliche Stimmen in Washington bereits den Druck auf Obama. "Alles, was die Interventionsgegner bei einer Intervention befürchtet haben, ist passiert", sagte der konservative US-Senator John McCain. "Die Dschihadisten sind auf dem Vormarsch, Chemiewaffen werden eingesetzt, die Massaker gehen weiter, die Russen unterstützen weiterhin Assad und die Iraner mischen auch mit." Da Obama im Falle der Chemiewaffen Konsequenzen angekündigt habe, sei es nun Zeit, diese zu ziehen und über Raketenangriffe von Meerseite nachzudenken, um die syrische Luftwaffe unschädlich zu machen, fordert McCain, der 2008 gegen den Demokraten angetreten war.

In der überhitzten politischen Diskussion könnte es schnell um Obamas Glaubwürdigkeit gehen, immerhin hat er ähnlich rote Linien auch im Atomstreit mit Iran gezogen. Auch die Frage, inwieweit die USA ihre Rolle als vermeintlicher Weltpolizist künftig weiter wahrnehmen will, steht im Raum. Doch hinter dem Fall Syrien steckt ein Dilemma, das auch seinen Nachfolgern erhalten bleiben dürfte: Die US-Bürger sehnen sich nach weniger militärischem Engagement, gleichzeitig wird das "Führen von hinten", wie es der US-Präsident im Zusammenhang mit dem Libyen-Konflikt einmal formulierte, schnell als Schwäche ausgelegt.

In komplexen Konflikten eine eindeutige wie konstruktive Haltung zu finden, erweist sich damit in der Post-Bush-Ära als äußerst schwierig. Für Syrien, wo in den vergangenen beiden Jahren mehr als 70.000 Menschen getötet wurden, bedeutet das: Nun wird weiter nichts passieren.

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