Demonstrationen in Frankreich:"Vergewaltiger ins Gefängnis, nicht in die Regierung"

Lesezeit: 4 min

Der 37-jährige Darmanin gilt als politischer Ziehsohn von Ex-Präsident Sarkozy und ist dem rechts-konservativen Spektrum zuzuordnen. (Foto: Julien Mattia/imago)

Die Ernennung des neuen Innenministers Darmanin löst Proteste aus. Ihm wird Vergewaltigung vorgeworfen. Präsident Macron muss sich fragen lassen, wie ernst er es mit seinem Kampf gegen sexuelle Gewalt meint.

Von Nadia Pantel, Paris

Die Botschaft, die Gérald Darmanin übermitteln will, ist eindeutig: Er ist der Schutzpatron der Polizei. Niemals sollten die Beamten "daran zweifeln, dass er immer einer von ihnen" sein werde, hatte Frankreichs neuer Innenminister bei seiner Amtseinführung am 6. Juli gesagt. Für seinen ersten offiziellen Dienstbesuch wählte der 37-Jährige die Polizeiwache von Mureaux, den Arbeitsplatz von Jean-Baptiste Salvaing. Salvaing und dessen Frau Jessica Schneider, ebenfalls Polizistin, waren vor vier Jahren von einem islamistischen Terroristen vor den Augen ihres dreijährigen Kindes ermordet worden. Die Tat symbolisiert die doppelte Herausforderung, vor der die Polizei steht. Sie soll die Bevölkerung vor Anschlägen schützen und ist selbst zu einem Hauptziel der Terroristen geworden. Zugleich illustriert das Gedenken an Salvaing und Schneider den Kurswechsel an der Spitze des Innenministeriums.

Der Mord jährte sich am 13. Juni zum vierten Mal. Damals war es noch der vorige Innenminister Christophe Castaner, der nach Mureaux fuhr und einen Kranz niederlegte. Empfangen wurde er von Polizisten, die aus Protest ihre Handschellen auf den Boden gelegt hatten. Der Ex-Sozialist und enge Macron-Vertraute war daran gescheitert, in der Debatte um rassistische Polizeigewalt den richtigen Ton zu treffen. Selbst gemäßigte Kritiker der Polizei empfanden ihn als unzugänglich, die Polizei hingegen sah sich alleingelassen. Darmanins Antrittsbesuch soll die Wut der Beamten besänftigen.

SZ-Podcast "Auf den Punkt"
:Frankreich: Wie Macron den Neuanfang versucht

Macron muss kämpfen: Frankreich litt stark unter dem Virus und seine Partei erlitt eine Wahlschlappe. Nun tauscht der Präsident ein paar Minister aus.

Nadia Pantel und Jean-Marie Magro

Nur flammt durch Darmanin eine andere Wut erst so richtig auf. Schon bei seiner Amtseinführung protestieren Feministinnen vor dem Innenministerium. Am Freitagabend kamen bei Demonstrationen in Paris, Lyon, Toulouse, Bordeaux und weiteren Großstädten Tausende zusammen, um Darmanins Rücktritt zu fordern. "Vergewaltiger ins Gefängnis, nicht in die Regierung", stand auf einem der Plakate, "Regierung der Schande" auf einem anderen. Eine Frau wirft Darmanin vor, sie 2009 vergewaltigt zu haben. Das Verfahren war 2018 in erster Instanz eingestellt worden, im Juni wurden jedoch erneute Ermittlungen gegen Darmanin angeordnet.

Premierminister Jean Castex reagiert auf die Proteste gelassen. Er "stehe vollkommen" zur Ernennung Darmanins, für den "wie für jeden anderen die Unschuldsvermutung gelten" müsse, sagte Castex dem TV-Sender BFM. Aus dem Umfeld von Präsident Emmanuel Macron heißt es, die Ermittlungen gegen Darmanin seien "kein Hindernis" für seine Amtsausübung.

Feministinnen sehen in der Berufung Darmanins einen Beleg für die Scheinheiligkeit Macrons. Der Präsident bezeichnet sich als Feminist, seine politische Überzeugung als "Progressivismus". Den "Kampf gegen sexuelle Gewalt", hatte er zum "großen, nationalen Anliegen" seiner Amtszeit erklärt. Bevor er 2017 gewählt wurde, sagte er, er würde gerne eine Frau zur Premierministerin machen. Zwei Premierministerernennungen später ist aus diesem Wunsch keine Wirklichkeit geworden.

Macrons Kampf für die Gleichstellung sei ein "großer Schwindel", sagt Caroline De Haas

Caroline De Haas, Gründerin des Vereins "Osez le féminisme!" ("Mehr Feminismus wagen") und eine der bekanntesten Feministinnen des Landes, schrieb in einem Gastbeitrag für das linke Nachrichtenportal Médiapart, die neue Regierung sei "eine brutale Ohrfeige" für "Vergewaltigungsopfer, Feministinnen, Frauen". Macrons Kampf für die Gleichstellung von Männern und Frauen und gegen sexuelle Gewalt sei "ein großer Schwindel". Die Realität sei, dass Macron Frauenrechte "komplett egal" seien. Nun sei aus einem "neutralen Desinteresse" ein "aggressives Desinteresse" geworden. Indem Macron Darmanin zum Minister ernenne, sage er "den Frauen, sie sollten still sein".

Zusätzliche Irritation löst die Ernennung von Marlène Schiappa zur beigeordneten Ministerin Darmanins aus. Schiappa war bisher Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter und trat als entschiedene Anhängerin der "Me Too"-Bewegung auf. So organisierte sie eine groß angelegte Kampagne zur Prävention von Frauenmorden. Schiappa bezeichnet sich als Vertreterin der "feministischen Diplomatie" und begleitete Macron auf zahlreichen Auftritten im In- und Ausland, um Frankreichs Vorreiterrolle im Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter zu betonen. Auf Vorschlag Schiappas erließ Frankreich ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung auf der Straße, wozu für Schiappa auch Pfiffe und anzügliche Bemerkungen zählen. Zu den Kritikern des Gesetzes gehörte der Star-Anwalt Éric Dupond-Moretti. Er sagte 2018, manche Frauen "werden es noch vermissen, dass man ihnen hinterherpfeift". Vergangene Woche wurde Dupond-Moretti zum Justizminister ernannt.

Aus Schiappas Umfeld heißt es, ihr neues Amt stelle eine "echte Beförderung" dar, auf Twitter erzählt sie, sie habe schon "als 17-Jährige davon geträumt, Polizistin zu werden". Was genau ihr neues Aufgabenfeld im Innenministerium umfassen wird, blieb unklar. Ihr Titel lautet "Ministre déléguée chargée de la citoyenneté", beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, ohne dass genauer definiert wäre, welche Bereiche dies umfasst. Erste Klarheit brachte ein Interview Schiappas mit dem Journal du Dimanche am Sonntag. "Ich verteidige die Werte der Republik, insbesondere die Laizität", sagte Schiappa, zudem sei sie für Fragen der Integration zuständig. Schiappa äußerte sich zu der Kritik an Darmanin und betonte, dass Darmanin nicht verurteilt sei. Die Proteste würden auch "instrumentalisiert von denen, die einzig und allein in Opposition zur Regierung stehen".

Fragen von Identität und nationaler Zugehörigkeit könnten mit Darmanin als Innenminister wieder stärker an Gewicht gewinnen. Darmanin gilt als politischer Ziehsohn des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy und ist politisch im rechts-konservativen Spektrum verankert. Als Sarkozy 2007 Präsident wurde, schuf er ein "Ministerium für Einwanderung und nationale Identität". Kritiker warfen Sarkozy vor, Einwanderer und Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Darmanin gab 2016 Einblicke in sein Verständnis des Islam, als er ein mehrseitiges Papier veröffentlichte, in dem er eine stärkere staatliche Kontrolle der Moscheen und der Ausbildung der Imame, ein Verbot von Minaretten und weitere Beschränkungen für das Tragen des Kopftuchs forderte. Darmanins Großvater war praktizierender Muslim aus Algerien, im Algerienkrieg kämpfte er auf Seiten Frankreichs. Am Mittwoch wird Darmanin sein Programm in einer politischen Grundsatzrede erklären.

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Neuer Justizminister Frankreichs
:Geliebter und gehasster Gegner der "Me Too"-Bewegung

Frankreichs Präsident Macron präsentiert Éric Dupond-Moretti als Justizminister. Der Anwalt hat spektakuläre Klienten verteidigt und ist sehr populär. Doch er hat auch viele Gegner: Richter, feministische Verbände - und Marine Le Pen.

Von Nadia Pantel, Paris

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: