Coronavirus:"Wir werden noch lange mit der Pandemie leben müssen"

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  • Mehrere Vertreter der Bundesregierung haben sich vor den Osterfeiertagen nochmals zur aktuellen Lage um das Coronavirus geäußert.
  • Dabei mahnte unter anderem Kanzlerin Merkel, jetzt nicht leichtsinnig zu sein.
  • "Wir können sehr schnell wieder zerstören, was wir erreicht haben", sagte sie.

Von Nico Fried, Berlin

Am Gründonnerstag hat die Politik nochmal alles gegeben. Die Lage stellte sich in etwa so dar: Der Staat entlässt sein Volk in ein langes Osterwochenende und die verantwortlichen Politiker verleihen ihren bangen Gefühlen Ausdruck mit einer Mischung aus Zuspruch und Mahnung, etwa so wie Eltern ihre Kinder ins Ferienlager schicken. Vier Tage bei schönem Wetter und strengen Kontaktbeschränkungen als Deutschlands nächste Bewährungsprobe in der Corona-Krise - und wenn es gut läuft, dann winken erste Lockerungen bei den Restriktionen des öffentlichen Lebens. Vielleicht.

Die Kanzlerin hat am Donnerstag nach der Sitzung des Corona-Kabinetts nochmal gesprochen. Der Gesundheitsminister ist gleich zweimal binnen weniger Stunden aufgetreten, dazu der Wirtschaftsminister, die Familienministerin und natürlich der wichtigste Berater der Regierung aus der Wissenschaft. Sie alle verbreiteten ein paar positive Nachrichten zur Entwicklung der Pandemie in Deutschland, von denen aber nicht eine ohne Relativierung auskam, meist noch im selben Satz.

Peter Altmaier sprach von einem "ersten Silberstreif am Horizont", auch wenn es "für Entwarnung noch zu früh" sei. Franziska Giffey sah in dem, was in den vergangenen Wochen durch Selbstdisziplin und soziale Distanz geschafft worden sei, eine positive Entwicklung - nun dürfe "nicht umsonst gewesen sein, was an Anstrengung und Verzicht geleistet wurde von uns allen". Jens Spahns Worte der Motivation kamen einer Zuckerbrot-und-Peitsche-Pädagogik für schwer Erziehbare schon verdächtig nahe: Er stellte Lockerungen in Aussicht, ein "schrittweises Vorgehen" - aber eben nur, "wenn wir gemeinsam über Ostern das jetzt durchhalten".

Am strengsten aber sprach die Kanzlerin. Angela Merkel berichtete, dass sie in der Vergangenheit durchaus die Sorge gehabt habe, es seien womöglich noch strengere Einschränkungen zu beschließen. Nun könne man "darüber schon sehr froh sein", dass das "zum jetzigen Zeitpunkt" nicht notwendig sei. Aber Achtung: "Wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen. Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein." Sie kenne diese Gefahr durchaus auch von sich persönlich, räumte die Kanzlerin ein und warnte vor den Folgen: "Wir können sehr schnell wieder zerstören, was wir erreicht haben."

Und was genau wurde erreicht? Lothar Wieler hatte zu seinem Auftritt mit dem Gesundheitsminister die neuesten offiziellen Zahlen mitgebracht. Wieler ist Chef des Robert-Koch-Instituts. Er rang sich immerhin die einleitende Bemerkung ab, dass die Maßnahmen der Politik "weiter positive Wirkung" zeigten. Stand 0 Uhr am Donnerstag waren 108 202 Covid-19-Erkrankungen gemeldet. Insgesamt seien etwa 12 000 Patienten bislang ins Krankenhaus gekommen, etwa 15 Prozent aller Erkrankten.

2107 Menschen sind in Deutschland bis Donnerstagmorgen an der Krankheit gestorben, das waren 246 binnen 24 Stunden. Der Anteil der Todesfälle liege bei 1,9 Prozent. Das bedeute einen Anstieg, der aber erwartet werden musste. So mehrten sich zum einen die Ausbrüche von Covid 19 in Krankenhäusern und Altenheimen. Zum anderen erkrankten inzwischen generell mehr ältere oder gesundheitlich vorbelastete Menschen. Der Altersdurchschnitt der Verstorbenen liege bei 80 Jahren, 86 Prozent waren 70 Jahre und älter.

"Von einer Entspannung kann man noch nicht wirklich ausgehen"

Die Zahl der neuen Infektionen, so Wieler weiter, liege "noch auf hohem Niveau". Zuletzt seien sie sogar wieder etwas höher gewesen als Anfang der Woche. Solche Schwankungen seien zwar normal, aber unterm Strich steht für ihn: "Von einer Entspannung kann man noch nicht wirklich ausgehen."

Vor allem Spahn nutzte den Tag auch, um eine kleine Leistungsbilanz zu ziehen. Durch den Aufbau der Kapazitäten seien in Deutschland derzeit rund 10 000 Intensivbetten frei, so der Gesundheitsminister. Zudem sei es zuletzt gelungen, 40 000 Schutzmasken innerhalb von einer Woche nach Deutschland zu holen, darunter 10 000 der für den medizinischen Betrieb notwendigen FFP2-Masken. Für dieselbe Menge habe man zuvor noch rund zwei Wochen gebraucht. Nun soll auch in Deutschland verstärkt produziert werden. Spahn wie später auch die Kanzlerin verwiesen auf das Interesse deutscher Firmen, ihre Produktion umzustellen oder neu auszurichten.

Was die Beschaffung in China angeht, ließ Merkel in vorsichtigen Formulierungen durchblicken, dass auch sie selbst sich eingeschaltet habe - und dass es in diesem Geschäft ziemlich rau zugeht. Man habe "Gespräche geführt", so Merkel, politische Gespräche, aber auch über deutsche Unternehmen in China. Man müsse "hier auch mit professionellen Einkaufsstrategien vorgehen", so die Formulierung der Kanzlerin für das Vorgehen im knallharten Konkurrenzkampf. Klassische Methoden mit komplizierten Verfahren "gehen im Augenblick relativ schlecht", so Merkel. Man müsse sich "der Marktlage anpassen".

Und wie geht es weiter? Merkel warnte "vor dem Gefühl, wir könnten vielleicht glimpflicher davonkommen als andere". Ja, Deutschland stehe vielleicht "etwas besser da im Moment". Aber wenn man nun in eine nächste Phase übergehe, dann handele es sich wieder um "unbekanntes Gebiet". Dafür müsse man bei der Entwicklung der Krankheitszahlen "auf sicherem Grund" stehen und dann "in kleinen Schritten vorgehen". Eine klare Ansage könne sie aber jetzt schon machen: "Wir werden noch lange mit der Pandemie leben müssen." Sie wäre "gerne und mit Freude die erste, die Ihnen sagt, jetzt ist alles wieder normal, jetzt können wir wieder loslegen". Aber so wird das nicht laufen. Man werde Geduld brauchen. Es gebe keine "Formel, nach der wir vorgehen".

Am Dienstag tagt wieder das Corona-Kabinett per Schalte

Einen Zeitplan aber gibt es: Anfang nächster Woche veröffentlicht die Nationalakademie Leopoldina ihre Vorschläge für einen allmählichen Neubeginn des öffentlichen Lebens. Für sie sei das eine "sehr wichtige Studie", so die Kanzlerin. In den vergangenen Wochen habe man Erfahrungen gesammelt, wie die Einschränkungen der Mobilität wirkten. Nun müsse man lernen, "wie können wir diese Einschränkungen langsam wieder aufheben". Am Dienstag tagt wieder das Corona-Kabinett per Schalte. Und am Mittwoch beratschlagen die Ministerpräsidenten der Länder mit der Kanzlerin über erste Lockerungen. Danach müsse man in "Spannen von zwei bis drei Wochen" prüfen, so Merkel: "Was ist die Wirkung davon?"

Merkel ließ erstmals erkennen, dass es bei der Lockerung Unterschiede zwischen den Bundesländern geben könnte, weil die Infektionszahlen regional sehr unterschiedlich sind. Vor gut einer Woche hatte sie das noch abgelehnt. An anderer Stelle war Merkel dafür am Donnerstag umso eindeutiger: Sie halte "überhaupt nichts davon", bei etwaigen Lockerungen nach Jüngeren und Älteren zu unterscheiden und wegen des unterschiedlichen Risikos den einen wieder Freiräume zu gewähren, die man den anderen vorenthalte. Ähnlich hatte sich schon Familien- und Seniorenministerin Franziska Giffey geäußert: "Ich bin nicht der Meinung, dass wir eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aufmachen sollten zwischen denen, die rausdürfen, und denen, die drinbleiben müssen."

Spahn und Giffey hatten zu ihrer Pressekonferenz auch einen Stressforscher mitgebracht. Mazda Adli sagte, neben der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise erlebe man derzeit auch eine "psychologische Krise". Was sonst zum Stressabbau diene, Kultur, Sport, Nähe, gehe jetzt nicht. Um damit besser klar zu kommen, helfe zweierlei: Zum einen müsse man sich immer bewusstmachen, dass dies ein vorübergehender Zustand sei. "So wird es keinesfalls bleiben", so Adli. Zum anderen könne es gerade über die Feiertage helfen, sich mal "eine corona-freie Zeit zu verordnen" - und sich tatsächlich für einige Stunden mit etwas völlig anderem zu beschäftigen.

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