Corona-Pandemie:Der Höhepunkt kommt erst noch

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Indigene protestieren vor dem Regierungssitz in Brasília gegen Bolsonaros Corona-Kurs. (Foto: Evaristo Sa/AFP)

In Lateinamerika steigen die Infektionszahlen massiv.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

In der weltweiten CoronaPandemie entwickelt sich Lateinamerika zunehmend zu einem neuen Krisenherd. Während sich die Ausbreitung des Erregers in Europa und den USA zuletzt verlangsamt hat, stiegen die Fallzahlen in Mexiko und den Ländern Zentral- und Südamerikas in den vergangenen Tagen rasant an. Das katholische Hilfswerk Adveniat warnt darum vor einer humanitären Katastrophe.

Mehr als 600 000 Menschen sind in Lateinamerika mittlerweile nach offiziellen Angaben mit dem Virus infiziert, die Dunkelziffer dürfte allerdings um ein Vielfaches höher sein. Flächendeckende Tests gibt es kaum, viele Covid-19-Erkrankungen werden nicht erfasst. Für Brasilien gehen Wissenschaftler davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten bis zu 15 Mal höher sein dürfte als die offizielle.

Das größte und bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas weist fast die Hälfte der registrierten Erkrankungen mit dem neuartigen Erreger aus. Diese Woche überschritt Brasilien die Marke von 300 000 Infektionen, weltweit steht es nun an dritter Stelle in den Statistiken, hinter den USA und Russland. Gleichzeitig starben zu Beginn der Woche erstmals seit dem Auftreten des Virus in Brasilien mehr als 1000 Menschen innerhalb von 24 Stunden. Vor allem in den großen Städten wie São Paulo oder Rio de Janeiro ist das Gesundheitssystem schon jetzt weitestgehend ausgelastet. Den Höhepunkt des Ausbruchs sagen Experten allerdings erst für Mitte oder Ende Juni voraus.

Ähnlich dramatisch ist die Situation bei Brasiliens westlichem Nachbarn Peru. Das Land sei in einer schlechten Lage, sagte die Leiterin der nationalen Arbeitsgruppe im Kampf gegen Covid-19, Pilar Mazzetti. "Das hier ist ein Krieg." Diese Woche hat Peru die Marke von 100 000 registrierten Infektionen überschritten, bei allerdings nur 33 Millionen Einwohnern.

In den engen Gassen der Armenviertel kann sich das Virus optimal ausbreiten

Selbst in Ländern, in denen es lange so ausgesehen hatte, als sei die Ausbreitung des Erregers zumindest unter Kontrolle, explodieren nun die Fallzahlen. So gab es in Chile zwei Tage in Folge jeweils rund 4000 Neuinfektionen, und die Todeszahlen stiegen sprunghaft an. Ebenso in Argentinien: Hier wurden zwar noch vergleichsweise wenige Erkrankungen mit dem Virus festgestellt, in den letzten Tagen erreichten sie aber Höchststände. Betroffen sind dabei vor allem die Villas, also die Armenviertel der Metropolen wie Buenos Aires. In kleinen Gassen und beengten Wohnungen, die teilweise nicht einmal über fließendes Wasser verfügen, kann sich das Virus optimal ausbreiten.

Gleiches lässt sich auch in den Favelas in Brasilien oder in den Slums in Chile, Peru oder Ecuador beobachten: Es sind vor allem die Armen und die einfachen Arbeiter, die von der Pandemie besonders hart getroffen werden.

Auf der einen Seite leiden sie wegen der oftmals prekären hygienischen und sozialen Lebensbedingungen unter höheren Ansteckungsquoten. Gleichzeitig verschärfen die teils strengen Isolations- und Quarantänemaßnahmen in manchen Ländern die ohnehin schwierige ökonomische Situation der Menschen. Viele arbeiten im sogenannten informellen Sektor, beispielsweise als Putzkraft ohne Arbeitsvertrag, als Betreiber einer Imbissbude oder Strandverkäufer. Bleiben sie zu Hause, gibt es keine Lohnfortzahlung. Viele Staaten haben zwar finanzielle Hilfe versprochen, oftmals aber kommt das Geld nicht bei den Menschen an. In Bolivien und Chile kam es diese Woche bereits zu Demonstrationen, teilweise mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern von Armen- und Arbeitervierteln und der Polizei. Andernorts hängen die Menschen weiße oder rote Fahnen vor ihre Häuser, um so ihre Not und Hunger zu signalisieren.

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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