Corona-Krise:Viel mehr Arbeitslose

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Die Zahl der Menschen ohne Job ist in einem Jahr um 600 000 gestiegen. Doch Ökonomen verbreiten Hoffnung: Mit Kurzarbeit und einem Konjunkturpaket könne es bald wieder besser werden.

Von Alexander Hagelüken und Henrike Roßbach, München/Berlin

Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sind im Mai durch die Corona-Krise stark gestiegen, wenn auch nicht mehr ganz so stark wie im Vormonat. Im Mai, in dem es normalerweise eine Frühjahrsbelebung gibt, waren 170 000 Menschen mehr arbeitslos als im April - insgesamt 2,8 Millionen. Die zunehmend schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt und der schwere Einbruch der Wirtschaft durch die Pandemie waren am Mittwoch auch die Kulisse für das Treffen des Koalitionsausschusses im Kanzleramt.

Schon tags zuvor hatten die Spitzen von Union und SPD bis in die Nacht hinein über ein milliardenschweres Konjunkturpaket verhandelt, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Am Mittwoch setzten sie ihre Gespräche fort; zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe dauerten sie noch an. Die Wunschlisten, mit denen die Regierungsparteien in die Verhandlungen gegangen waren, hatten zuletzt ein Volumen von rund 100 Milliarden Euro.

"Der Arbeitsmarkt ist wegen der Corona-Pandemie weiterhin stark unter Druck", sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele. "Jeder fünfte Arbeitslose geht auf den Corona-Effekt zurück." Im Vergleich zum Mai 2019 waren fast 600 000 Menschen mehr ohne Arbeit. Zudem haben die Unternehmen nach BA-Angaben im Mai für eine Million Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet. Im März und April waren es zusammen 10,7 Millionen gewesen. Wie viele Arbeitnehmer allerdings wirklich kurzarbeiten, ergibt sich erst später aus den Abrechnungen der Unternehmen mit der Arbeitsagentur.

Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts waren im Mai mehr als sieben Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. "Diese Zahl war noch nie so hoch", sagte Ifo-Arbeitsmarktexperte Sebastian Link. "In der Finanzkrise lag der Gipfel der Kurzarbeit 2009 bei knapp 1,5 Millionen Menschen."

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, die Kurzarbeit sei "nach wie vor unsere stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal". Sie habe eine große Entlassungswelle verhindert. "Jeder Beschäftigte in Kurzarbeit ist auch ein Beschäftigter in Arbeit."

Dennoch hatte die Zahl der Arbeitslosen schon im April um 300 000 zugenommen. Warum sie im Mai nicht mehr ganz so stark anstieg, erklärte BA-Chef Scheele so: "Vielleicht wirken die Lockerungen, vielleicht gibt es bei den Firmen Optimismus, es doch zu schaffen. Wenn sich die Zahlen weiter abflachen, sollten wir zufrieden sein. Zurzeit kommen wir ganz gut durch."

Wie sich die Arbeitslosigkeit weiter entwickeln wird, hängt stark von der konjunkturellen Entwicklung ab. Mehrere Forschungsinstitute gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung dieses Jahr um rund sieben Prozent schrumpfen wird - das wäre der stärkste Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Heil sprach mit Blick auf die Krise von "der größten Herausforderung unserer Generation".

Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit bald über drei Millionen steigen wird. Danach allerdings werde sie zurückgehen und im Jahresdurchschnitt bei 2,8 Millionen liegen. Das wäre eine halbe Million mehr als 2019. Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, würden sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den deutschen Arbeitsmarkt im Vergleich zu der dramatischen Entwicklung in Südeuropa oder den USA aber immer noch in Grenzen halten.

Bei ihrer Vorausschau gehen die Forscher allerdings davon aus, dass es nicht zu einer zweiten Welle starker Beschränkungen der Wirtschaft wegen der Pandemie kommt. Auch eine systemische Krise, in der sich die Weltwirtschaft in den nächsten Monaten nicht vom Corona-Schock erholt, ist nicht Teil der Prognose.

Ökonomen betonen, das hohe Niveau der Kurzarbeit werde nicht in Massenentlassungen umschlagen, solange Unternehmen eine Perspektive sähen. Dafür allerdings müsste die deutsche Wirtschaft wieder anziehen. Nahezu einhellig fordern sie deshalb ein Konjunkturprogramm. Auch BA-Chef Scheele sagte dazu: "Ich glaube, dass es nötig ist, ins wirtschaftliche Geschehen einzugreifen." Allerdings solle alles vermieden werden, "was nur ein Strohfeuer ist". Gut sei es dagegen, den Kommunen die Finanzierung zu erleichtern.

Unter besonderem Strohfeuer-Verdacht steht in der Koalition, jedenfalls in Reihen der SPD und im Wirtschaftsflügel der Union, eine Prämie für den Kauf von Neuwagen - zumindest, wenn auch solche mit Verbrennungsmotoren begünstigt würden. Die Prämie, die vor allem Länder mit Autostandorten im Konjunkturpaket wissen wollen, war im Koalitionsausschuss einer der besonders strittigen Punkte.

Ebenfalls stark umstritten: eine mögliche Übernahme der Altschulden besonders finanzschwacher Kommunen durch den Bund. Minister Heil sagte, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik könnten die Wirtschaftspolitik nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Deshalb sei das Konjunkturpaket so wichtig. Es biete zudem die "große Chance, dass Deutschland nach dieser Krise digitaler, sozialer und ökologischer ist".

© SZ vom 04.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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