Sie sagen, sie seien vom Gesundheitsamt und müssten dringend einmal in die Wohnung. Oder sie melden sich per Telefon und behaupten, sie seien der Enkelsohn, der sich mit dem Coronavirus infiziert hätte. Und nun brauche man viel Geld, um die Behandlungskosten zu bezahlen. Oder sie verschicken per E-Mail angebliche Warnhinweise zu Corona. In Wahrheit aber greift eine Schadsoftware dann Passwörter und andere Zugangsdaten ab.
Vor solchen Betrugsmaschen von Kriminellen warnt derzeit das Bundeskriminalamt (BKA). "Aktuell nutzen Kriminelle die bestehende Verunsicherung und Angst rund um die Covid-19-Pandemie aus", teilte die Behörde mit. Die Opfer seien oftmals ältere Menschen - die Risikogruppe bei der Viruserkrankung.
Wie verändert die Corona-Krise die Kriminalität in Deutschland? Welche Straftaten könnten durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zunehmen - welche Delikte finden vielleicht weniger statt? Und wie soll man darauf reagieren? Diese Fragen beschäftigen derzeit bundesweit Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften. Es gibt Konferenzen und Besprechungen zum Thema, und es werden erste Prognosen erstellt.
Auch die Politik sucht Rat bei den Sicherheitsbehörden, um etwaige Folgen der Ausgangsbeschränkungen und anderer Maßnahmen einschätzen zu können. So hat das Bundesinnenministerium nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR das BKA inzwischen beauftragt, zeitnah eine Lageeinschätzung abzugeben.
"Die Bundesregierung und die Länder befassen sich derzeit auch mit den Auswirkungen der Lage auf verschiedenste Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens", teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. "Dazu gehören auch mögliche Auswirkungen auf die Kriminalitätslage. Dies geschieht derzeit noch rein präventiv, um sich auf mögliche Entwicklungen möglichst frühzeitig einstellen zu können."
In Sicherheitskreisen ist man sich sicher: Die Corona-Krise wird für einen Rückgang bestimmter Delikte sorgen - aber vermutlich auch neue Formen der Kriminalität hervorbringen. In einigen Bereichen, etwa bei Betrugsdelikten oder auch häuslicher Gewalt, könnten die Fallzahlen sogar stark steigen.
Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen, geschlossenen Restaurants, Clubs und Bars ist das öffentliche Leben in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Folglich sind weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Die sogenannte Straßenkriminalität", also etwa der Taschendiebstahl, dürfte daher nach Einschätzung von Experten zurückgehen. Ebenso der Wohnungseinbruch, weil sich viele Menschen größtenteils drinnen aufhalten.
"Bei den Betrugsdelikten kommt es bereits jetzt zu besonders schäbigen und perfiden neuen Tricks", warnt jedoch Jörg Radek, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Beispielsweise werde der sogenannte Enkeltrick umformiert. "Es gibt Fälle, in denen sich Kriminelle als Mitarbeiter von Gesundheitsämtern ausgeben und sich so Zugang zur Wohnung ihrer Opfer verschaffen, um Diebstähle zu begehen."
Die Ausgangsbeschränkungen, die vielerorts erlassen wurden, bedeuteten für viele Menschen "einen Rückzug in den privaten und auch digitalen Bereich", sagt Polizeigewerkschaftler Radek. "Der Onlinehandel nimmt vermutlich zu und damit auch die Möglichkeiten von Cyberkriminellen, im Netz Straftaten zu begehen."
Zahlreiche Phishing-E-Mails seien im Umlauf, warnen IT-Sicherheitsexperten
Bereits jetzt warnt das BKA etwa vor einer sogenannten "Corona-Karte", einer virtuellen Karte, auf der angeblich die Infektionsfälle in Echtzeit angezeigt werden. Tatsächlich aber ist die Webseite, auf die Cyberkriminelle gezielt verlinken, mit einer Schadsoftware präpariert, die Passwörter oder andere Daten abgreift. Zahlreiche solcher sogenannter Phishing-E-Mails seien momentan im Umlauf, warnen IT-Sicherheitsexperten.
Es bestehe auch das Risiko, so Polizeihauptkommissar Radek, dass vermehrt Betrug bei besonders nachgefragten Produkten - wie etwa Medikamenten, Desinfektionsmitteln oder Schutzkleidung wie Atemschutzmasken begangen werden. Zum Beispiel indem Plagiate verkauft würden, die teilweise völlig wirkungslos seien.
Ein weiterer Aspekt, der bei den Sicherheitsbehörden aktuell diskutiert wird, ist die Gefahr von Raubüberfällen. Die oft vollen Kassen der Supermärkte, Apotheken oder Drogerien könnten Kriminelle auf den Plan rufen, heißt es. Selten seien die Tagesumsätze der noch geöffneten Läden so hoch wie in diesen Tagen.
Einen eher positiven Effekt mit Blick auf Straftaten könnten die derzeitigen Ein- und Ausreiseverbote sowie verstärkten Grenzkontrollen haben. "Die grenzüberschreitende Kriminalität wird aufgrund der polizeilichen Präsenz mit hoher Wahrscheinlichkeit stark zurückgehen - und zwar in allen Bereichen", so GdP-Vize Radek. Gemeint sind damit etwa der Drogen- und Zigarettenschmuggel, die Schleusung von Menschen oder auch der Autodiebstahl und die anschließende Flucht ins Ausland.
Im Bereich der häuslichen und sexualisierten Gewalt fürchten Experten eine Zunahme
Mit großer Sorge blicken Polizisten hingegen auf einen besonders sensiblen Bereich der Kriminalität, der als Folgewirkung der Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung eintreten könnte: Häusliche und sexualisierte Gewalt - vor allem gegen Frauen und Kinder. Hier fürchten Experten eine Zunahme, denn Kinder seien aufgrund der Schul- und Kitaschließungen nun oft ganztägig mit den Eltern zusammen. Das Konfliktpotenzial steige enorm, warnen auch Polizeivertreter.
Sebastian Fiedler, Vorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), verweist zudem auf die Aktivitäten der organisierten Kriminalität - etwa Mafia- oder Clan-Strukturen - die sich nun durch Corona vermutlich verändern werden. "Die organisierte Kriminalität wird auf die Schließung von Gastronomiebetrieben und anderen Kleinbetrieben und den geringeren Bargeldumlauf reagieren müssen", so Fiedler. "Illegal erworbene Gelder müssen schließlich gewaschen werden und es gibt dort reichlich Liquidität."
Fiedler vermutet, dass die kriminellen Netzwerke sehr genau beobachten werden, wie sie weiter Geld machen können. "Man wird versuchen, in vielen Bereichen zu betrügen. Zum Beispiel Gelder bei den finanziellen Hilfspaketen abzugreifen, die von der Regierung nun bereitgestellt werden", sagt der Kriminalhauptkommissar aus Nordrhein-Westfalen. Auch illegaler Medikamentenhandel sei derzeit ein wichtiges Thema. "Die Menschen sollten bei Online-Apotheken sehr zurückhaltend sein."
Im Bereich der politisch-motivierten Kriminalität rücken nun Personen in den Fokus der Behörden, bei denen man vermutet, sie könnten die aktuelle Situation ausnutzen - oder sich angespornt fühlen, aktiv zu werden. "Bei den Extremisten schauen wir jetzt natürlich genau hin", erklärt BDK-Vorsitzender Fiedler. "Was machen etwa rechtsextreme Prepper? Wie verhalten sich die Reichsbürger. Auf linksextremen Plattformen wurde schon vor Tagen zu Plünderungen aufgerufen."