Frankreich:Abwarten und beobachten

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Covid-Frühling in Paris: Auf die Franzosen kommen angesichts zunehmender Neuinfektionen möglicherweise weitere Einschränkungen zu. (Foto: Michel Euler/AP)

Die Neuinfektionen erreichen wieder das Niveau von November. Noch verzichtet die Regierung auf einen Lockdown. Doch Premierminister Jean Castex spricht für Teile des Landes eine Warnung aus

Von Nadia Pantel, Paris

Die Lage ist so angespannt, wie zuletzt im November: Innerhalb von 24 Stunden wurden in Frankreich von Dienstag auf Mittwoch mehr als 30 000 Covid-Neuinfektionen registriert. Eine Woche zuvor waren täglich 25 000 Fälle gezählt worden. "Die Situation unseres Landes hat sich verschlechtert", sagte Premierminister Jean Castex am Donnerstagabend. Gleichzeitig hielt er an dem Kurs fest, den die Regierung seit Ende Januar fährt: Abwarten und beobachten.

Im März vergangenen Jahres hatte Macron noch gesagt, man werde die Ausbreitung des Coronavirus verhindern, "koste es, was es wolle". Diese absolute Priorität der Gesundheit galt in den vergangenen Wochen nicht mehr. Seit Jahresbeginn arrangierte sich Frankreich mit im Schnitt täglich 20 000 Neuinfektionen, obwohl Macron im Herbst, zu Beginn der zweiten Welle, 5000 tägliche Neuinfektionen als Ziel ausgegeben hatte.

Man müsse "alles tun, um einen Lockdown zu verhindern". Das Ziel der Regierung habe sich nicht geändert: "unsere Krankenhäuser und unseren Lebensstil und die Bildung unserer Kinder schützen." Castex verwies darauf, dass "in Deutschland die Kinder seit zwei Monaten keinen Fuß in die Schule gesetzt" hätten. In Frankreich gilt seit Dezember eine nächtliche Ausgangssperre von 18 Uhr bis 6 Uhr, doch die Schulen wurden seit dem ersten strengen Lockdown im Frühjahr nicht wieder geschlossen. Von kommender Woche an sollen Spucketests an Frankreichs Schulen eingesetzt werden, um Corona-Ausbrüche möglichst früh festzustellen.

Für einzelne Regionen wurden die aktuellen Maßnahmen jedoch bereits als unzureichend bewertet. Seit dieser Woche sind das südfranzösische Nizza und die nordfranzösische Stadt Dunkerque in einem Teil-Lockdown, der jeweils an den Wochenenden gilt. Castex sagte, dass 20 Départements nun unter "verstärkter Beobachtung" stünden. Dort liegen die Inzidenzwerte bei mehr als 250 Neuinfizierten für 100 000 Einwohner. Zu den 20 betroffenen Départements gehören Gebiete am Mittelmeer, am Ärmelkanal in Nordfrankreich und die Hauptstadt Paris mit ihren Vorstädten. Sollte sich die Lage dort weiter verschlechtern, könnten Maßnahmen ergriffen werden, die denen in Nizza und Dunkerque ähneln.

"Wir haben die Richtigen geimpft"

In Bezug auf Frankreichs Impfstrategie gab sich Castex selbstbewusst. "Wir haben die Richtigen geimpft", sagte der Premierminister. Frankreich führe, wenn es darum gehe, diejenigen zu impfen, die besonders gefährdet seien. Laut Castex liegt das Durchschnittsalter der Geimpften in Frankreich bei 72 Jahren, in Deutschland bei 65 und in Italien bei 55. Mehr als die Hälfte der Bewohner der Alten- und Pflegeheime sei geimpft worden. Bis Ende Februar werde Frankreich mehr als vier Millionen Dosen Impstoff injiziert haben, bei mehr als drei Millionen Bürgern. Von April an könnten die Altersgruppe der Über-65-Jährigen geimpft werden.

Laut Institut Pasteur haben sich im Großraum Paris, wo zwölf Millionen Menschen leben, bereits 30 Prozent der Bevölkerung seit Februar 2020 mit dem Coronavirus infiziert. Für ganz Frankreich gehen die Wissenschaftler davon aus, dass 17 Prozent der Bevölkerung bereits infiziert waren. Das Institut Pasteur warnt jedoch davor, klare Schlüsse aus dieser Berechnung zu ziehen, da nicht geklärt sei, wie hoch das Risiko sei, sich wiederholt zu infizieren.

Nach der Pressekonferenz des Premierministers kündigte sich am späten Donnerstagabend ein politischer Konflikt an: Das sozialistisch regierte Paris kritisierte die Regierungspläne und schlägt einen dreiwöchigen, lokalen Lockdown vor. Der stellvertretende Bürgermeister Emmanuel Grégoire sagte, "Macrons Wille", einen Lockdown vermeiden zu wollen, sei "kein wissenschaftliches Argument, das ihn überzeugen könne". Die aktuellen "Halb-Maßnahmen" seien "das Schlimmste". Man könne nicht "über Monate in einem Semi-Gefängnis" leben.

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