Risikopatienten und Corona:"Mir ist nicht egal, ob meine Patienten und ich das überleben"

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(Foto: Magdalena Posiert/Credit RTL II)

Für Risikogruppen ist das Corona-Virus besonders gefährlich. Die krebskranke Aktivistin und Bestsellerautorin Myriam von M. berichtet von ihrer Wut über die Ignoranz anderer.

Interview von Raphael Markert

Myriam von M. sagt, sie mache sich keine Illusionen: Eine Ansteckung mit dem Corona-Virus könnte sie das Leben kosten. Mit 25 Jahren erkrankte sie an Vulvakrebs, drei Jahre später an Gebärmutterhalskrebs, zudem ist sie autoimmunerkrankt. Heute hat die 41-jährige Anti-Krebs-Aktivistin einen Bestseller über ihre Erkrankung geschrieben und hilft in einer Fernsehsendung im Privatfernsehen sowie mit Ihrer Aufklärungskampagne "Fuck Cancer" anderen Krebskranken. Sie berichtet, warum sich sie und andere Betroffene in diesen Tagen vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus fürchten, wie die Sorge ihren Alltag bestimmt und wie sehr sie sich über die Ignoranz ihrer Mitmenschen ärgert.

SZ: Frau von M., Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich betont, dass sich langfristig 60 bis 70 Prozent der Deutschen mit dem Corona-Virus anstecken könnten. Welche Gedanken löst das als Risikopatientin in Ihnen aus?

Myriam von M.: Ganz grundsätzlich macht mir das große Angst. Ich versuche ständig im Kopf auszurechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich mich infiziere - und komme zu dem Ergebnis: relativ hoch. Ich schütze mich jetzt natürlich sehr stark, auch weil ich mir bewusst bin, wie dramatisch eine Ansteckung für mich sein kann. Aber ich hoffe, dass es schon bald ein Medikament oder eine Impfung geben wird. Deshalb gilt: Je mehr wir den Ausbreitungsprozess in die Länge ziehen, desto besser ist das für mich und andere Risikopatienten.

Wie dramatisch kann eine Corona-Infektion für Sie sein?

Wenn wir uns als Risikopatienten mit Corona anstecken, kann uns der Tod drohen. Natürlich stirbt nicht jeder infizierter Risikopatient, aber das Risiko ist im Vergleich zum Normalbürger erheblich vervielfacht. Ich versuche zwar aktuell, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber wenn ich schlafen gehe und das kleinste Symptom einer Krankheit spüre, beispielsweise ein Kratzen im Hals, bekomme ich schon Panik. Ich hatte vor einem Jahr die Schweinegrippe. Ich war acht Wochen krank, wäre fast daran gestorben. Das hat mich geprägt.

Wie schützen Sie sich?

Mein Alltag aktuell ist ziemlich anstrengend. Ich gehe kaum noch vor die Tür, andere Erkrankte, denen ich sonst helfe, besuche ich nicht mehr. Ab und zu gehe ich spazieren, aber dann nur - so abstrus sich das anhört - auf dem Friedhof, weil dort aktuell kaum andere Menschen unterwegs sind. Wenn ich einkaufen gehen muss, dann wirklich nur schnell und das Nötigste, und sobald ich im Auto sitze, desinfiziere ich mich einmal von Kopf bis Fuß. Dasselbe gilt aktuell für meinen Mann: Wenn der nach Hause kommt, muss auch er sich komplett desinfizieren. Für ihn ist das aktuell eine ziemliche Einschränkung, aber es geht nicht anders.

Als Aktivistin für Krebskranke stehen Sie oft mit anderen Erkrankten in Kontakt. Was erzählen die Ihnen in diesen Tagen?

Ich habe noch niemanden erlebt, der gesagt hat: Ach, das ist alles nur halb so schlimm. Es ist wirklich immer Angst im Spiel. Angst aber vor allem vor der Menschheit da draußen, die sich immer noch viel zu wenig solidarisch verhält, die gruppenweise im Park rumturnt und Grillpartys feiert. Währenddessen habe ich am Morgen eine Nachricht von einer Familie bekommen, deren Kind schwer an Krebs erkrankt ist und eigentlich in diesen Tagen operiert werden sollte. Weil sich der Vater mit Corona angesteckt hat, wurde die Operation verschoben, weil die Kinderkrankenstation das Kind deshalb nicht mehr aufnehmen wollte. In der jetzigen Situation werden also auch die Behandlungsmöglichkeiten schwieriger.

Im Internet haben Sie eine Kampagne gestartet. Sie fordern darin Ihre Mitmenschen auf, zuhause zu bleiben.

Die Rückmeldungen waren absolut positiv, aber sie kamen vor allem von Menschen, die selbst in irgendeiner Form betroffen sind. Ich weiß nicht, wie viele Menschen der Aufruf erreicht hat, die damit belangloser umgehen. Dabei sind wir als Risikopatienten auf genau diese Menschen angewiesen. Auf ihre Solidarität kann ich nur hoffen - und appellieren: Es sind auch, aber eben nicht nur die 80-jährigen Rentner mit Vorerkrankung, die aktuell massiv gefährdet sind. Es sind genauso Väter, Mütter, Jugendliche und Kinder, die alle gerne noch eine Weile leben würden.

Wie sehr ärgern Sie sich über die Menschen, die das noch nicht verstanden haben?

Sehr. Ich sehe gerade Leute, die einen Familienausflug in den Baumarkt zu machen scheinen, die draußen dicht an dicht gedrängt an der Currywurstbude stehen. Am liebsten würde ich jeden anschreien und fragen, ob sie es immer noch nicht verstanden haben. Aber selbst das verkneife ich mir in diesen Tagen aus Angst vor einer Ansteckung.

Was wünschen Sie sich also von Ihren Mitmenschen in dieser Zeit?

Die Menschen müssen sich an die Regeln halten. Es geht nämlich um Leben und Tod. Corona ist kein Spaß. Es mag sein, dass es vielen egal ist, wenn Frau Müller von nebenan plötzlich nicht mehr da ist, aber mir ist nicht egal, ob meine Patienten und ich das überleben. Deshalb mein Appell: Bleibt ruhig, aber bleibt vor allem zuhause.

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