Colonia Dignidad:Verstörendes Urteil

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Der Umgang deutscher Gerichte mit dem tragischen Thriller Colonia Dignidad erinnert an den Umgang mit vielen Verbrechern der Nazizeit. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf im Fall Hopp macht sprachlos.

Von Peter Burghardt

Wer sich mit der Colonia Dignidad beschäftigt, der blickt in ein schwarzes Loch. In dieser deutschen Sekte im Süden Chiles wurde gemordet, gefoltert, entführt, vergewaltigt, geprügelt, mit Psychopharmaka vollgepumpt, ausgebeutet, mit Waffen bis hin zu Giftgas gedealt. Deutschland und Chile sahen lange weg oder standen Spalier, der Schrecken reicht sogar über die chilenische Militärdiktatur von 1973 bis 1990 hinaus. Und was tut die deutsche Justiz, um wenigstens etwas Gerechtigkeit zu üben? Sie tut so gut wie nichts, nicht mal jetzt.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dieser Woche ist ein Tiefpunkt im Umgang mit den Verbrechen am Fuß der Anden. Schlimmer noch: Es könnte ein Präzedenzfall sein. Die Richter haben entschieden, dass der frühere Colonia-Arzt Hartmut Hopp seine chilenische Haftstrafe in Deutschland nicht verbüßen muss, obwohl Chile und das Krefelder Landgericht das beantragt hatten. Er bleibt ein freier Mann. Dabei war Hopp 2011 in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden und in die alte Heimat geflüchtet. Überall auf der Welt wäre er festgenommen worden, es gab einen Haftbefehl von Interpol. In Alemania sind diese Täter dagegen sicher.

Das liegt nicht nur daran, dass Deutschland Deutsche nicht in Staaten jenseits der EU ausliefert. Es liegt auch daran, dass die Entscheider an juristischer Aufklärung der Affäre Colonia Dignidad wenig Interesse haben. Zwar sind politische Fortschritte zu verzeichnen, seit ein Film das Thema belebte und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier um Verzeihung bat. Akten wurden geöffnet. Der Bundestag befasste sich mit dem Skandal. Abgeordnete reisten an den Tatort und wollen sich um späte Unterstützung der Opfer kümmern, das ist gut. Aber wer bestraft die Täter? Wer klärt richtig auf?

Akten des BND zur Colonia sind verschlossen. Auch wurde viel zu wenig erforscht, wo all das Geld steckt oder welches Verhältnis auch deutsche Politiker und ein Waffenmagnat zu der würdelosen Kolonie hatten. Längst heißt die Enklave Villa Baviera, Bayerndorf. Inzwischen ist sie ein Freizeitpark, purer Zynismus. Wieso beackert keine Wahrheitskommission dieses finstere Feld? Wieso müssen Opferanwälte und Menschenrechtler bis zur Selbstaufgabe kämpfen? Weil Unangenehmes ans Licht kommen könnte?

Der Umgang mit dem tragischen Thriller Colonia Dignidad erinnert an den Umgang mit vielen Verbrechern der Nazizeit. Staatsanwälte lassen sich Zeit, Täter und Opfer sind alt oder tot. Natürlich kann es keine Kollektivschuld geben. Aber glaubt jemand, der verstorbene Colonia-Guru und Kinderschänder Paul Schäfer habe das kriminelle Imperium und all den Missbrauch dort praktisch alleine gesteuert?

Hopp zählte zur Chefriege, Ermittler sollten sich dringend eingehender mit ihm beschäftigen. Die Entscheidung des OLG kommt einem Freispruch gleich. Sie widerspricht dem hart erkämpften Prinzip universeller Gerichtsbarkeit, das zum Beispiel die Festnahme von Chiles Diktator und Colonia-Freund Augusto Pinochet 1998 in London ermöglicht hatte. Sprachlos machen Auszüge der Düsseldorfer Begründung: Da liest man auch von "sozial- und gesundheitsfürsorglichen Gründen", die von der Führungsspitze verfolgt worden seien. Die Colonia habe "gerade nicht ausschließlich kriminellen Zwecken" gedient. Das klingt für die Opfer wie Hohn.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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