China:Wer Recht sucht, wird misshandelt

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Chinesische Provinzbeamte lassen Bürger, die sich beschweren wollen, in "schwarzen Gefängnissen" verschwinden - dort kommt es zu brutaler Gewalt.

Henrik Bork

Für ahnungslose Passanten war nicht erkennbar, welcher Horror sich hinter diesen Mauern abspielte. Das Juyuan-Hotel sieht von außen völlig harmlos aus. Es ist Teil eines unscheinbaren Wohnhauses in der verschlafenen Majiabao-Straße in Peking. Vor dem rot verklinkerten Tor parken, ordentlich aufgereiht, die Kleinwagen der Anwohner. Ganz in der Nähe brummt der Verkehr der Zweiten Ringstrasse. Und doch war hier bis vor kurzem eines der berüchtigten "schwarzen Gefängnisse" Chinas versteckt, deren Insassen geschlagen, ausgehungert und vergewaltigt werden.

In Chinas "schwarzen Gefängnissen" herrschen elende Zustände. Insassen werden geschlagen und vergewaltigt, wie diese 20-jährige Studentin berichtete. (Foto: Foto: AP)

Anfang dieses Monats hat einer der Wärter vor Gericht gestanden, im Juyuan-Hotel eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Der 26-jährige Xu Juan bekannte sich vor einem Bezirksgericht schuldig, die 21-jährige Studentin Li Ruirui in ihrer Zelle überfallen und zum Beischlaf gezwungen zu haben.

Die Zeitung Südliches Wochenende hatte die Vergewaltigung aufgedeckt, und der öffentliche Aufschrei in ganz China war so laut, dass die Behörden den Fall nicht länger ignorieren konnten. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und die Zeitung China Daily berichteten schließlich sogar über das Geständnis des Wärters. Zum ersten Mal hat das offizielle China damit die Existenz der schwarzen Gefängnisse zugegeben.

Bittsteller aus der Provinz sind die Opfer dieser heimlichen Haftanstalten. Ungezählte Chinesen aus allen Teilen des Landes machen sich jedes Jahr auf den Weg nach Peking, um sich über erlittenes Unrecht zu beklagen. Dies ist ihr gutes Recht, und die Zentralregierung hat sogar ein "Beschwerde- und Petitionsamt" eingerichtet. Doch Provinzbeamte bezahlen heimlich Schlägertrupps, um die Bittsteller abzufangen, oft schon auf dem Bahnhof.

150 bis 300 Yuan (umgerechnet 17 bis 33 Euro) bekommen dann die illegalen Gefängniswärter pro inhaftiertem "Störenfried" pro Tag, hat die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kürzlich in einem ausführlichen Bericht über die schwarzen Gefängnisse dokumentiert.

Die 21-jährige Li Ruirui wollte sich in Peking darüber beschweren, dass sie aufgrund eines Prüfungsergebnisses von ihrer Fachhochschule geworfen worden war. Nach einer zehnstündigen Zugfahrt war sie am 31. Juli aus der Provinz Anhui kommend in Peking eingetroffen. Zunächst von der Polizei aufgegriffen, wurde sie einem Mann übergeben, der sie schließlich vor der verriegelten Holztür in einem östlichen Seitentrakt des Juyuan-Hotels ablieferte.

70 andere, zum Teil bereits ausgehungerte Bittsteller aus der Provinz waren dort in winzigen Räumen mit Etagenbetten eingesperrt. Noch in der selben Nacht wurde Li von dem Wärter vergewaltigt, während mehrere andere Inhaftierte im selben Raum ängstlich den Mund hielten, berichtete das Südliche Wochenende.

Das Sexualverbrechen löste eine Massenflucht aus, und die Existenz dieses speziellen schwarzen Gefängnisses war nicht länger geheimzuhalten. Doch dass es ein ganze Reihe dieser geheimen Haftanstalten gibt, hat Chinas Zentralregierung bislang nicht zugegeben. Sprecher des Außenministeriums versichern auf Nachfrage, so etwas wie "illegale Gefängnisse" gebe es in China nicht.

Provinzbeamte haben in China einen Grund, warum sie Geld dafür bezahlen, dass Beschwerdeführer eingefangen und eingeschüchtert werden: Die Kader werden nach einem Punktesystem bewertet. Für jeden Chinesen aus ihrem Ort, der in Peking auffällig wird, gibt es Abzüge. Legale Arrestzellen für "auffällige Personen" wie Obdachlose hatte die Zentralregierung vor einigen Jahren im Zuge einer Justizreform abgeschafft. Da schafften sich die mächtigen und auch zunehmend reichen Provinzbeamten einfach ein neues, wenn auch illegales Haftsystem.

Manche der schwarzen Gefängnisse sind in Hotels und Gästehäusern der Provinzvertretungen in Peking versteckt, andere in psychiatrischen Kliniken oder Altersheimen. In allen werden die Insassen regelmäßig geschlagen, mit dem Entzug von Schlaf oder Esssen gequält und schließlich vor der Entlassung erpresst, größere Summen an Bargeld auszuhändigen, wie HRW in Interviews mit Dutzenden von Opfern dokumentieren konnte. Die genaue Zahl dieser Anstalten ist nicht bekannt, doch in Peking dürften es mehrere Dutzend sein, in ganz China noch deutlich mehr, da es auch in den Provinzhauptstädten ähnliche Geheimgefängnisse gibt.

Manche der Menschen werden einige Tage lang festgehalten, andere wochen- oder monatelang. Wer sich beschwert, wird oft schlimm misshandelt. Die Wärter hätten sie "brutal geschlagen und mit einem Messer das Gesicht zerschnitten", berichtete eine Bittstellerin, die im Februar 2009 in einem schwarzen Gefängnis in Peking eingesperrt war. Die Wunde habe mit 15 Stichen genäht werden müssen.

Viele ehemalige Opfer berichten von Schlägen mit elektrischen Schlagstöcken. Die oft noch jugendlichen Aufpasser hätten eine fast absolute Macht über die Insassen. "Sie schlugen mich alle drei Tage. Ich hielt es nicht mehr aus und dachte mehrmals daran, mich umzubringen", sagte ein 42-jähriger Ex-Häftling aus Sichuan gegenüber HRW.

Auch mehrere chinesische und ausländische Journalisten, die sich schwarzen Gefängnissen in Peking genähert haben, sind geschlagen worden. Und wenn Insassen den Notruf der Polizei anwählen, wird ihnen gesagt, dass man ihnen leider nicht helfen könne.

© SZ vom 24.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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