China reagiert auf Enthüllung über Wen Jiabao:Löschen und sperren - alles für die Harmonie

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Die Familie des chinesischen Premiers Wen Jiabao sieht sich nach dem Bericht über ihre Reichtümer zum Dementi genötigt - eine Premiere. Doch was kriegt die Bevölkerung von den Enthüllungen überhaupt mit? Die Zensoren löschen geschwind jede Spur im Netz und werden selbst in Blogs aktiv.

Kai Strittmatter, Peking

Musste nach Enthüllungen über sein Vermögen öffentlich Stellung beziehen: Chinas Premierminister Wen Jiabao. (Foto: AP)

Es ist ein Scoop, den manche außerhalb wie innerhalb der New York Times schon mit der Veröffentlichung der "Pentagon-Papiere" 1971 über den Vietnam-Krieg vergleichen. Das Ungewöhnliche: Diesmal legt sich die Zeitung nicht mit der Regierung des eigenen, sondern mit der eines fremden Landes an, und zwar ausgerechnet mit der Chinas.

Dass sie mit ihrer Recherche über die sagenhaften Reichtümer der Familie des Premiers Wen Jiabao diese ins Mark getroffen haben, zeigt die Reaktion der Familie, die sich zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt sah, in der sie die Vorwürfe zurückweist - eine Premiere in der Geschichte der Volksrepublik, deren Elite sich gewöhnlich hinter einem Schleier der Geheimhaltung versteckt.

Die eigentliche Frage aber ist: Wie viel bekommt das chinesische Volk mit von den Enthüllungen? Als die New York Times (NYT) mit der Geschichte online ging, war es halb fünf Uhr morgens in China. Die Zensoren arbeiteten schnell, sie blockierten die englische und die chinesischsprachige Webseite der Zeitung. Aber China hat nicht nur mehr als 500 Millionen Internetnutzer, es nutzen auch geschätzte 300 Millionen Cinesen Mikrobloggingdienste wie Sina Weibo. Dort dauerte es bis elf Uhr, bis die Suche nach NYT und allen verwandten Begriffen gesperrt war.

Noch um halb zehn ergab eine Suche nach der Zeitung 185.000 Treffer, und viele davon diskutierten den Artikel oder erkundigten sich danach. Ein Dialog: "Ein neuer Tycoon in China. 2,7 Milliarden Dollar" - "Wer? Meine Mutter?" - "Haha, nein. Es ist der 'beste Schauspieler'." "Bester Schauspieler" ist einer der Spitznamen im Netz für Wen Jiabao, der sich stets volkstümlich und bescheiden gibt.

Kommentatoren wie Professor Wang Feng von der Eliteuniversität Qinghua erlebten jedoch, wie schnell die Zensoren arbeiteten. Um 9:18 Uhr stellte er seinen Beitrag online, um 9:19 Uhr war er schon "harmonisiert". Seit die Regierung die "harmonische Gesellschaft" ausgerufen hat, ist "harmonisieren" in China Netzslang für: löschen.

Alles in allem ist es erstaunlich, wie umfassend die Zensur es schaffte, jede Erwähnung des Textes zu tilgen. Viele von der SZ befragte Pekinger, durchaus geübt im Umgang mit dem Internet, hatten am Wochenende noch nicht davon gehört. Als im Juni die Nachrichtenagentur Bloomberg mit ähnlichen Enthüllungen über den Reichtum der Familie des designierten neuen starken Mannes Chinas, Xi Jinping, online ging, war die Zensur ähnlich schnell und effektiv. Bis heute ist Bloomberg gesperrt, bis heute haben selbst gewöhnlich gut informierte Pekinger Intellektuelle von dem Artikel nicht gehört. Ob das diesmal auch so sein wird? Dafür scheint die Geschichte zu groß und wichtig zu sein.

Chinas Regierung ist mittlerweile recht geübt in der Kontrolle von Netz und Weibo. Mittlerweile nutzt sie die Medien auch selbst, hat den Zensoren bezahlte Lohnschreiber zur Seite gestellt, die in Foren und Mikroblogs den Patriotismus und die Partei preisen, auch duldet sie es, dass Nutzer über korrupte oder unfähige lokale Beamte Dampf ablassen. "China ist eindeutig kein klassischer autoritärer Staat im Stil des Kalten Krieges mehr", schreibt Rebecca MacKinnon, Internet-Expertin und ehemalige CNN-Reporterin in Peking. Sie spricht von "vernetztem Autoritarismus".

Parallel zur Zensur hat die Regierung im vergangenen Jahrzehnt systematisch versucht, die ausländische Presse als "antichinesisch" zu verunglimpfen. Präsident Hu Jintao warf erst im vergangenen Jahr "feindlichen Kräften" erneut vor, das Land zu unterwandern und teilen zu wollen. Ausländische Journalisten seien deshalb kritisch ihrer Regierung gegenüber, so das Mantra Pekings, weil sie den Aufstieg der chinesischen Nation torpedieren wollten. Der Parteisekretär der Stadt Shanwei in Kanton nannte im vergangenen Jahr westliche Zeitungen, die über Demonstrationen berichteten, "verkommen": "Wenn ausländische Medien vertrauenswürdig sein sollen, dann können Schweine auf Bäume klettern." In erstaunlich weiten Kreisen, bei chinesischen Nationalisten zum Beispiel, verfängt das. Andere durchschauen solche Propaganda als zynisches Machtspielchen.

Abwägung zwischen Geschäft und Journalismus

Für die NYT kommt der Scoop zu einem schwierigen Zeitpunkt: Eben erst hatte sie ihre chinesischsprachige Webseite gestartet, die nun für den größten Teil ihres potenziellen Publikums auf unbestimmte Zeit blockiert sein wird. Die Werbekunden waren nicht eingeweiht in die Veröffentlichung - in Zeiten, da die Werbeeinnahmen einbrechen. Die Episode zeige: "Die Interessen des Journalismus und die des Geschäfts gehen nicht immer Hand in Hand", schrieb die Ombudsfrau der NYT, Margaret Sullivan. Die Zeitung hat sich für den Journalismus entschieden. "Ich bin sehr stolz", sagte Verleger Arthur Sulzberger Jr.

© SZ vom 29.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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