China:Feindliche Mächte und Revolution der Farben

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"Kriminelle Laufbahn" : Der Bürgerrechtler Hu Shigen propagiert die westliche Demokratie. Deshalb wurde er am Mittwoch zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. (Foto: AP)

Peking macht immer stärker Stimmung gegen westliche Staaten wie die USA: Angeblich wollen diese Pekings Aufstieg verhindern. Bürgerrechtler werden als "Verschwörer" verfolgt.

Von Kai Strittmatter, Peking

Im Juli vor einem Jahr wurden in China 300 Bürgerrechtsanwälte und Unterstützer festgenommen. In Haft sind heute noch etwa zwei Dutzend, jetzt wird ihnen der Prozess gemacht. Diese Woche wurden die ersten Angeklagten als "Umstürzler" verurteilt, begleitet von einer massiven Propagandaanstrengung, in deren Zentrum vor allem eine Botschaft steht: Die Anwälte und ihre Helfer aus der Zivilgesellschaft seien Teil einer westlichen Verschwörung, Agenten einer "feindlichen Macht" mit dem einen Ziel, die Herrschaft der Kommunistischen Partei zu stürzen. Weitere Urteile werden erwartet, die Prozesse finden hinter verschlossenen Türen statt.

Am Montag erschien in einer Hongkonger Zeitung ein Interview, in dem die seit einem Jahr im Polizeigewahrsam verschwundene Rechtsanwältin Wang Yu "gestand", wie sie und ihre Kollegen von "ausländischen Mächten" dazu ausgebildet worden seien, Chinas Regierung "anzugreifen" und zu "verleumden". Am Dienstag wurde der Aktivist und Anwaltshelfer Zhai Yanmin zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, Zhai habe enthüllt, wie eine konspirative Gruppe von Anwälten und Bürgern "mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft" die Regierung habe stürzen wollen. Am Mittwoch war Hu Shigen an der Reihe, ein Veteran der Demokratiebewegung, der schon im Gefolge des Massakers vom Platz des Himmlischen Friedens 16 Jahre im Gefängnis saß. Xinhua zufolge bekannte auch der frühere Literaturdozent Hu Shigen seine Schuld, mit den Anwälten den Sturz der KP geplant zu haben. Hu habe seine "kriminelle Laufbahn" zugegeben, in deren Verlauf er die westliche Demokratie propagiert habe.

Es hat in China schon früher gelegentlich antiwestliche Ausbrüche gegeben, und Vorwürfe vor allem gegen die USA, eine "Farbenrevolution" - benannt nach der "orangenen Revolution" in der Ukraine - auch in China anzustreben. Aber in ihrer Vehemenz ist die antiwestliche Stimmungsmache nun bemerkenswert. Sie kommt kurz nach der in China wütend aufgenommenen Entscheidung des Den Haager UN-Schiedsgerichtshofs gegen Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer, und nur einen Monat ehe China Gastgeber des G-20-Gipfels in Hangzhou ist. Gleichzeitig ist sie Teil eines stetig wachsenden Stroms an Kampagnen, die den Bürgern suggerieren, der Westen wolle Chinas Aufstieg sabotieren und habe allein Interesse am Scheitern und Zerfall des Landes.

Bis zu Xis Amtsantritt waren Know-how und Konzepte des Westens willkommen

Für China ist das in dieser Form deshalb neu und bemerkenswert, weil es dem Westen gegenüber jahrzehntelang einen völlig anderen Weg eingeschlagen hatte als zum Beispiel die Sowjetunion und später Russland: Seit Deng Xiaopings Politik der Reform und Öffnung war der Westen drei Jahrzehnte lang willkommen gewesen als Träger von Investitionen, aber auch von Know-how und Ideen. Konzepte wie "universale Werte" und Zivilgesellschaft fanden auch in China Anhänger. Skepsis diesen Entwicklungen gegenüber hatte es innerhalb der KP immer gegeben, aber erst seit dem Amtsantritt von KP-Chef Xi Jinping wurde daraus ein Frontalangriff. Im Zentrum der Kampagne gegen die Anwälte stehen die einstige Pekinger Kanzlei "Fengrui" und ein halbes Dutzend ihrer Anwälte und Mitarbeiter.

Die Kanzlei hatte sich einen Namen gemacht mit der Verteidigung von Opfern der Behördenwillkür oder von Lebensmittelskandalen, aber auch von Angehörigen der Zivilgesellschaft. Die bekannte Rechtsanwältin Wang Yu etwa machte sich einen Namen als mutige Verteidigerin von Feministinnen, aber auch des uigurischen Wirtschaftsprofessors Ilham Tohti, der sich für die Belange der Uiguren in Xinjiang einsetzte, und der im vergangenen Jahr zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Die Hongkonger Zeitung Oriental Daily meldete am Montag, Wang Yu sei nun auf Bewährung freigelassen worden. Bis heute jedoch durfte sie weder ein Familienmitglied noch ein von der Familie beauftragter Anwalt sehen. Das Blatt veröffentlichte sodann ein "exklusives" Interview mit Wang, das stark an jene inszenierten Geständnisse erinnerte, die in Chinas Staatsfernsehen neuerdings oft auftauchen. Wang - die ein Jahr ohne Prozess in Polizeigewahrsam gehalten wurde - beschuldigt darin die ausländischen Mächte, sie und ihre Familie "als Geisel" gehalten zu haben, "um die Partei zu verleumden und die Regierung zu attackieren". Über einen europäischen Menschenrechtspreis, der ihr verliehen wurde, sagte sie, solche Preise werde sie "nicht anerkennen, nicht annehmen und nicht akzeptieren". Exakt diese Wortfolge war vor Kurzem aufgetaucht in Pekings offizieller Verurteilung des Schiedsgerichtsurteils von Den Haag. Am selben Tag veröffentlichten KP-Organisationen ein Video über den "dunklen Schatten des Sternenbanners", in dem die USA beschuldigt wurden, China destabilisieren zu wollen. Die Zuschauer bekamen Bilder von Chaos und Zerstörung in Syrien und Libyen zu sehen, dazu die Ansage, so werde China enden, wenn die KP sich nicht der USA und den von ihr manipulierten Bürgerrechtlern und Anwälten entgegenstelle.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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