China:Bunt, mutig und in Haft

Lesezeit: 4 min

Fünf junge Frauen setzen sich in Peking für Gleichberechtigung ein. Weil sie sich damit auf Parteilinie befinden, rätselt China: Wofür müssen sie büßen?

Von Kai Strittmatter, Peking

Der Fall verblüfft. Der vielleicht bekanntesten Soziologin des Landes, Li Yinhe, fällt dazu vor allem das ein: "absurd". Wang Qiushi, der Rechtsanwalt einer der Festgenommenen, sagt: "Die Eskalation ist mir ein Rätsel." Eine Pekinger Journalistin gießt ihre Fassungslosigkeit in das eine Wort: "Warum?"

Dass Chinas Kommunistischer Partei politische Aktivisten nicht geheuer sind - geschenkt. Dass sie Anwälte schikaniert, Blogger einschüchtert und Bürgerrechtlern nachstellt, alles bekannt. Dass sie unter KP-Chef Xi Jinping wieder viel mehr dieser Leute ins Gefängnis steckt, auch das ist kaum mehr eine Neuigkeit. Aber diese fünf jungen Frauen? Jung und kaum bekannt, zwar engagiert, oft unkonventionell, manchmal stürmisch, aber doch keine Gefahr fürs Regime. Unterwegs für eine bessere Gesellschaft, für mehr Frauenrechte, klar. Aber das ist ein Ziel, von dem die KP sagt, sie teile es, auch wenn sie nach wie vor ein Verein der alten Patriarchen ist: Im 25-köpfigen Politbüro sitzen gerade mal zwei Frauen.

Die Fünf wollten Flugblätter im Bus verteilen. Gegen sexuelle Belästigung

Aufkleber wollten sie verteilen, die fünf, und Flugblätter: im Bus, in der U-Bahn. Gegen sexuelle Belästigung. Jetzt sitzen sie schon mehr als 30 Tage in Haft. Und am kommenden Montag wird der Staatsanwalt mitteilen, ob er der Polizei folgt und Anklage erheben wird. Wegen "Organisierens einer Menge zur Störung der öffentlichen Ordnung". Bis zu fünf Jahre Haft stehen in China darauf. Fünf Jahre für ein paar Aufkleber, für ein paar Flugblätter? Flugblätter, die am Ende nicht einmal verteilt wurden, weil die Polizei schon lange vorher zugeschlagen hatte.

Die Festnahme der fünf vor ihrer geplanten Aktion zum 8. März war das Geschenk der Partei an Chinas Frauenbewegung. Ein Geschenk von doppelter Ironie. Weil der 8. März der auch in China groß gefeierte Internationale Frauentag ist. Und weil die Partei selbst dafür gesorgt hatte, dass Chinas Nationaler Volkskongress zur gleichen Zeit erstmals über ein Gesetz gegen häusliche Gewalt beriet. Eine Partei ist das also, die sich ab und zu für die Sache der Frau einsetzt. Eine Partei, die Frauen einsperrt, die das gleiche tun.

Die toxische Mischung aus "Macht und Paranoia": Chinas Polizei geht gegen Demonstranten vor. (Foto: Sam Yeh/AFP)

Jetzt haben einige in China im Kalender geblättert: Wann eigentlich hat zum letzten Mal eine chinesische Regierung Frauenrechtlerinnen ins Gefängnis geworfen?

Ziemlich lange ist das her, um genau zu sein mehr als 100 Jahre. 1913 war das, der einstige Warlord und damalige Präsident Yuan Shikai ließ die bekannte Suffragette Tang Qunying und ein paar Mitstreiterinnen festnehmen wegen "öffentlicher Reden" und "Aufwiegelung anderer Frauen". Und jetzt, ein Jahrhundert später, Generalsekretär Xi Jinping. Erstaunlich. Warum also? "Bis zum März hielt ich es für ungefährlich, mich in meinem Land für Frauenrechte einzusetzen. Immerhin ist die Gleichberechtigung offizielle Staatspolitik", sagt die bekannte Feministin Xiong Jin von der Organisation Genderwatch der Süddeutschen Zeitung. "Jetzt aber weiß ich: Es gibt keine ungefährlichen Themen in China mehr." Tatsächlich weht, seit Xi Jinping an der Macht ist, ein kalter Wind durchs Land, der die zart keimende Zivilgesellschaft frösteln lässt. "Die Regierung möchte den Graswurzelbewegungen den Garaus machen", sagt Xiong Jin. "Wahrscheinlich sind wir zu lebendig geworden."

Genau das war das Markenzeichen von Chinas jungen Feministinnen: Sie waren anders als die akademische Muttergeneration, sie traten frech und bunt auf, und - für chinesische Verhältnisse - manchmal gar wild. Sie tanzten auf der Straße, spielten Theater, veranstalteten Performances. 2012 besetzten sie landesweit die Männerklos, um den Bau von mehr öffentlichen Frauentoiletten zu fordern. Dann traten einige in blutverschmierten Brautkleidern vor die Kameras, um gegen häusliche Gewalt zu protestieren. Sie kamen in die Schlagzeilen, stießen erste Veränderungen an: Gleich vier große Städte gelobten nach der Toilettenbesetzung öffentlich Besserung. Jetzt, so berichten es die Anwälte, möchte die Polizei den fünf Festgenommenen offenbar auch aus der Toilettenbesetzung und den blutigen Brautkleidern einen Strick drehen.

Sieht man hier einen Sicherheitsapparat bei der Arbeit, der endgültig aus dem Ruder läuft? Die toxische Mischung "aus Macht und Paranoia", von der Sophie Richardson spricht, Chinaexpertin bei Human Rights Watch? "Die Frauenrechtlerinnen sind nicht mehr so unscheinbar wie früher", sagt Feng Yuan, eine Forscherin für Frauenrechte. "Sie sind immer sichtbarer geworden. Und sie haben gleichzeitig in mehreren Städten zu Aktionen aufgerufen. Das macht die Abteilung zur Bewahrung der Stabilität nervös." Die Abteilung zur Bewahrung der Stabilität. Die gibt es wirklich. Tatsächlich haben die jungen Frauen wohl gegen das eine große Tabu verstoßen: Sie haben sich organisiert.

Sie haben gegen das eine große Tabu verstoßen: Sie haben sich organisiert

Das ist die Ursünde im China dieser Partei, die allen Menschen befiehlt: Du sollst keine anderen Organisationen neben mir haben.

Im kommenden September ist es genau zwanzig Jahre her, dass Peking der Gastgeber der UN-Weltfrauenkonferenz von 1995 war. Peking will den Jahrestag feiern, Xi Jinping wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon empfangen und eine Rede halten. Warum nicht zur "Erklärung von Peking", mit welcher der Kongress damals endete? Die verkündete: "Frauenrechte sind Menschenrechte".

Wird der Fall nun Chinas junge Frauenbewegung ersticken? Oder wird er sie im Gegenteil langfristig befeuern? "Vielleicht schüchtert das jetzt viele ein", sagt Feng Yuan. "Vielleicht aber sind die Reaktionen auch gar nicht so schlecht. Ich sehe, wie sich im Netz jetzt immer mehr für unsere Sache interessieren."

Es gibt kleine Gesten des Protests. Sympathisantinnen, die sich in Parks, Restaurants, Shoppingmalls mit Masken fotografieren lassen, auf denen die Gesichter der fünf Verhafteten zu sehen sind, und die diese Fotos dann über soziale Netzwerke verbreiten. Oder die Redakteure, die soeben in der Legal Weekly einen Artikel über die Verhaftung der Suffragetten von 1913 platzierten. Untertitel: "Gestern waren sie noch Heldinnen, heute sind sie Staatsverbrecherinnen." Und morgen?

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: